Soltau - Sturz in Runde 4


Es ist Sonntag der 25.04.2010, 04.30 Ortszeit. Als der Wecker schrillt, frage ich mich ernsthaft, ob ich wohl bescheuert bin, an meinem einzig freien Tag der Woche so früh aufzustehen. Ich fühle mich unwohl. Seit zwei Tagen quält mich ein Magen-Darminfekt. Doch es hilft nix. Die Hunde müssen ohnehin raus und stehen schon erwartungsvoll vor der Haustür. Also raus aus den Federn!

Als wir um sechs zurück sind, packe ich meine Klamotten ins Auto. Zeit habe ich genug, denn das Frühstück schenke ich mir - es würde ohnehin nicht lange im Magen bleiben.

Mein Telefon klingelt. Es ist meine Frau, die auf dem Weg zur Arbeit mir völlig aufgelöst erzählt, dass der Wagen gerade streikt. Sie steht irgendwo zwischen hier und nirgendwo in der Feldmark. Als ich bei ihr eintreffe, ist es schon halb sieben. So langsam schwindet mein Zeitpuffer. Den Fehler am Auto hab ich schnell gefunden. Den abgefallenen Stecker des Öldruckmessers hätte sie selbst aber nie finden können.

Um kurz vor sieben bin ich dann wieder zu Hause. Ich hole das Rad aus dem Schuppen und will Luft aufpumpen. Als ich die Schraube des Sclaverandventils abbreche, fällt mir wieder ein, warum ich diese Ventile nicht mag.

Die Ursache des Knackens am Vorbau, dass mich schon seit ewiger Zeit nervt, finde ich durch Zufall. Es ist eine der Klemmschrauben, die aus mir unerklärlichen Gründen, zu stark angezogen wurde und nun die Gewindebohrung im Vorbau herausgerissen hat. Laut fluchend bohre ich den Vorbau aus und stecke eine Schlossschraube mit Kontermutter durch. Das sollte als Provisorium halten.

Es ist schon kurz vor halb acht, als ich endlich im Auto sitze. Als ich mein Tom Tom einschalte, zeigt er nur noch senkrechte Striche. Lässt sich nicht mehr ausschalten, geschweige denn bedienen. "Ich werd noch mal irre", denke ich mir, als ich wieder ins Haus renne, um das andere Navi zu suchen.

Endlich bin ich tatsächlich unterwegs. Die Autobahn ist angenehm frei. Aus dem Radio plärrt Peter Maffay: "Über sieben Brücken musst Du gehen...bla, bla, bla...Siebenmal wirst Du die Asche sein" "Heute ist irgendwie alles Asche", denke ich, als die Tankanzeige aufleuchtet. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Eines steht fest: Das ist nicht mein Tag!!!

Aber dank der freien Autobahn komme ich noch rechtzeitig gegen neun nach Soltau. Ich schaffe es sogar noch mir die Strecke anzusehen. Ich drehe zwei Runden und bin überrascht. Sie ist technisch recht anspruchsvoll, aber durchaus fahrbar. Konditionell, und das macht mir viel mehr Sorge, werden hier viele Fahrer ans Limit gebracht werden. Viel Singletrail und nur wenig Chancen zum Überholen. Lange, fiese Anstiege, gefolgt von kurzen steilen Abfahrten. Ebene Streckenteile zum Puls runterkurbeln gibt s nur wenige. Und super vorbereitet ist die Strecke. Gefahrenstellen sind gut gekennzeichnet und gepolstert.

An der Anmeldung stehend, werde ich von Johanna begrüßt, die ich nicht gleich erkenne. Doch es bleibt nur Zeit für einen kleinen Smalltalk. Später bietet sich dann aber mehr Zeit zum Quatschen.

Der Start ist um halb elf. Zuerst starten die 20 km Fahrer. Es sind viele. Wohl gut 70 % aller Teilnehmer. Damit platzt meine Strategie, mich auf der Ergebnisliste der 40 km im großen Fahrerfeld ein wenig verstecken zu können. 5 Minuten später sind wir dran. Die erste Runde gehe ich zu schnell an, das merke ich sofort. Die Lunge brennt, die Beine schmerzen. In der zweiten geht es besser. Bergauf lasse ich es lockerer angehen, mache dafür bergab richtig Boden gut. Zugegeben, ich fahre volles Risiko. Insbesondere die Abfahrt nach dem Rodelberg, der wohl heftigsten Steigung im Parcours, ist sauschnell und, dank eines losen Kiesbettes, saugefährlich.

In der dritten Runde beginnt sich mein Magen-Darmvirus zu melden. Ich bekomme Magenschmerzen und Brechreiz. Also nochmal Tempo raus nehmen. Was hilft's? Ich war ohnehin nur gekommen, um locker mitzufahren. Johanna rauscht von hinten an, entschuldigt sich und zieht vorbei. Ich versuche gar nicht erst dran zu bleiben. Ich will das Rennen nur irgendwie durchstehen und bleibe bei meiner Taktik, bergab meine gute Fahrtechnik auszunutzen. Tatsächlich lasse ich noch den ein oder anderen Fahrer hinter mir. Auch viele aus der 20 km Gruppe, bei denen das Tempo eigentlich aufgrund der kurzen Strecke deutlich höher sein sollte.

"Ich verkaufe mich hier gar nicht so schlecht", denke ich, als ich in die vierte Runde gehe. Der Magen rebelliert nicht mehr so arg, ich ziehe das Tempo etwas an, obwohl mir das so langsam echt schwer fällt. Ich merke deutlich, dass ich verletzungsbedingt lange nicht mehr gefahren bin und in diesem Jahr noch nicht mal 200 km in den Beinen habe.

Wieder quäle ich mich den Rodelberg hoch. Inzwischen schiebe ich. Ich verbrauche hier sonst zu viel Kraft. Kraft, die ich für den Rest der Strecke dringender brauche. Die zahlreichen Zuschauer feiern jeden einzelnen Fahrer, feuern an und putschen das Ego. Einfach klasse, diese ausgelassenen Stimmung an der Strecke. Die Soltauer machen richtig Party!!!

Endlich bin ich oben, schnell rein in den Sattel und ganz wichtig (!) schnell einklicken, denn die Abfahrt ist tückisch. Das Kiesbett schaffe ich wieder sehr gut. Mit über 40 Sachen nagel ich den Hügel runter. Doch die scharfe Rechtskurve, die nun folgt, bremse ich zu spät an. Mit Energieüberschuß gehe ich in die Kurve, merke dies sofort. Ich denke noch "das wird knapp!". Ich verlager das Gewicht nach vorne, will mehr Andruck schaffen, doch das mir das Vorderrad ausbricht kann ich nicht mehr verhindern.

Das Rad segelt durch den Wald, ich hinterher. In einer großen Staubwolke kommen wir beide zum Liegen. Das Rad hochgerissen und wieder aufgesessen, höre ich ein "Respekt" und "was´n Abflug" von den Zuschauern hinter mir. Noch kann ich schmunzeln. Gleich wird mir nicht mehr zum Lachen sein. Ich komme noch gut 500 m völlig schmerzfrei. Dann sinkt der Adrenalinspiegel wohl wieder etwas, denn nun hab ich doch ziemlich Probleme mit der Schulter. Ich fahre, wo immer es geht. einhändig. Schon jetzt steht für mich fest: DAS WAR`S! Für heute ist Schluss. Nix geht mehr. Doch zumindest diese Runde will ich noch beenden und so schleppe ich mich nach etwas über einer Stunde und nur 20 Km in Ziel.

Dort angekommen, fühle ich mich wie ein Radprofi. Im Laufschritt eilen Sanitäter zu mir. Ich bin umringt von helfenden Händen. Allen voran ein netter Typ in dem ich Frank Brockmann zu erkennen glaube. Ein zugereichter Eisbüttel kühlt die Schulter bis ein weiterer Rettungssanitäter eintrifft und die Schulter eingehend untersucht und mir zum Arztbesuch rät. Naja, mal sehen, wie es morgen geht.

Eine Grillwurst essend wartete ich auf die ersten Zieleinläufe der 40 km Fahrer und klöne mit Jessica Brockmann. Sie entschuldigt sich mindestens ein Dutzend mal für meinen Sturz. Man könnte meinen, Sie glaubt mich persönlich vom Rad gestoßen zu haben. Meine Frage nach einer Neuauflage des Rennens beantwortet sie mit einem klaren ja. Die Resonanzen seien durchweg gut.

Ich schlender bei 23 Grad und Sonnenschein noch ein wenig über die Ausstellermeile und trete dann die, glücklicherweise sorgenfreie, Heimreise an.

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