24 Std. Duisburg 2023




Das Event des Jahres sollte es werden - mein persönliches Saisonhighlight. Stattdessen quäle ich mich nun mehr schlecht als recht von Runde zu Runde über den Parcours, leide erbärmlich, und denke bereits an Aufgabe. Kämen nicht hin und wieder einige motivierende und unterstützende Nachrichten via Handy aus der Heimat, hätte ich längst das Bike gegen den Bierkrug getauscht. Ich fahre nie wieder ein 24 Std.-Rennen!!! Das ist der Stand der Dinge, Samstag Nacht in Duisburg.


Als Solofahrer ist kein 24 Std Rennen ein Zuckerschlecken - da macht auch Duisburg keine Ausnahme. Die Strecke ist zwar technisch nicht sonderlich anspruchsvoll, dafür aber recht schnell. Und der berüchtigte Monte-Schlacko, dieser "Berg", der eigentlich nichts weiter ist als aufgeschaufelte Rückstände aus der Stahlproduktion; eine Müllhalde; ein Haufen Abraum und Dreck, hat mit seinen geschätzten 12 Prozent Steigung ebenfalls bisher noch jedem Fahrer über kurz oder lang den Energiestecker gezogen.


Nein, leicht war keines meiner bisher absolvierten Rennen. Was ich aber heute erlebe, grenzt an hemmungslose Vergewaltigung der Muskulatur und ekstatische Selbstgeißelung der Psyche.

Zwar kenne ich die Strecke von diversen Teilnahmen in den letzten Jahren, wusste, was mich erwarten würde und hatte mir vorgenommen, mich entsprechend vorzubereiten. Zugegeben: Die Vorbereitung fiel dann doch - beinahe erwartungsgemäß - den privaten und beruflichen Verpflichtungen zum Opfer und damit ins Wasser. Gleichfalls ins Wasser zu fallen drohte das Rennen selbst. Sintflutartig geregnet hatte es in den letzten Tagen, und auch für das Rennwochenende waren heftige Niederschläge und Gewitter angekündigt.
Umso erstaunter war ich, während ich mich kurz vor 12 Uhr am Samstag in die Startaufstellung einreihte, dass meine Haut nach Sonnencreme lechzend in der Mittagssonne garte, wie die Wiesenhof Bruzzzler auf dem Grill vom Atze Schröder. 

Dies geschah übrigens mit leerem Magen. Denkbar ungünstig - das ist klar. Aber ich hatte am Morgen kaum einen Bissen herunterbekommen. Ob es der Aufregung geschuldet gewesen sein mag, dass der Magen nervös zu rebellieren begann, oder ich etwas falsches gegessen hatte, bleibt freilich spekulativ. 

Mit dem Startschuss löste sich meine Angespanntheit schlagartig und entlud sich in einem viel zu hohen Anfangstempo. Als Verfolger der etwa sechsköpfigen Spitzengruppe - das hätte mir klar sein müssen -  tauge ich einfach nicht. Schon gar nicht über einen Zeitraum von 24 Stunden.
Und so dauerte es auch gar nicht lange, bis Tempo und fehlende Energiereserve ihren Tribut forderten. Das Tempo sank schlagartig und der Hungerast nagte gewaltig in der Magengrube.

Doch nicht nur das Tempo sank rapide. Auch die Temperaturen purzelten tief in den Keller und wurden von Wolken so schwarz wie Druckertinte begleitet, die auch bald schlagartig ihren Inhalt über uns Fahrern ergossen. Regentropfen so groß wie Brieftauben, prasselten auf die Helme nieder. Binnen Sekunden war die Strecke überschwemmt und bot den Reifen nicht mehr Traktion als es ein Stück Kernseife getan hätte. Bikes und Sportler wurden in eine nasskalte Fangopackung gehüllt.
Paniert wie ein Schnitzel, fuhr ich ins Fahrerlager ein, um eine Dose Ravioli - bekanntermaßen optimale Sportnahrung und von diversen Profiteams wärmstens empfohlen - in meinen gähnen leeren Magen zu werfen. Um ein Haar hätte ich auch die Dose mitgefressen...


Der Regen hatte nachgelassen, als ich mein Gourmet-Dinner soeben beendet hatte. Ein guter Zeitpunkt, um wieder auf die Strecke zu gehen. Aber so richtig rund wollte es trotz Energienachschub nicht laufen. Irgendwie hatte ich einfach keine guten Beine. Kraftlos fühlten sie sich an; träge verrichteten sie ihren Dienst und drohten selbst an kleinen Anstiegen zu kapitulieren. Immer wieder hielt ich im Fahrerlager an; um Flaschen zu tauschen, oder auch um nur mal die Beine locker zu bekommen. Das aufgrund der Bodenverhältnisse dreimal die Schaltung kapitulierte, brachte weitere Standzeiten im Lager ein. Es hätte wirklich besser laufen können.


Es ist inzwischen dunkle Nacht im Landschaftspark Duisburg. Meine Armbanduhr verrät mir, dass die Geisterstunde bereits um ist. Dennoch wandel ich im Moment wie ein Zombie durch das Fahrerlager.
Nachdem ich bereits einmal den Akku der Lampe hatte tauschen müssen, bin ich nun, nur 2 Runden später, erneut zurückgekehrt. Ich kann einfach nicht mehr auf dem Bike sitzen. Meine Schultern und auch der Rücken vermelden mir, dass ich dringend mal eine andere Haltung einnehmen muss. Und so hocke ich mich nun, eingekauert in meinen Schlafsack, auf einem Stuhl, und gönne mir ein wenig Schlaf.



Die Haltung ist auf Dauer nur unwesentlich bequemer als die auf dem Rad, und so werde ich, bei erneut einsetzendem Nieselregen, am frühen Morgen von meiner Bandscheibe geweckt.
Es ist Teamkollege Marco, der mich ermutigt, das Rennen fortzusetzen. Er selbst hatte, ebenfalls als Solofahrer unterwegs, in der Nacht die Segel gestrichen. Die radikalen und an Suizid grenzenden Überholmannöver anderer Fahrer, die auch mir unangenehm aufgefallen waren, hatten ihm satte sechs mal Kollisionen und Beinahe-Stürze beschert, und er hat die Nase gestrichen voll, sich bei diesen Bodenverhältnissen von rücksichtslosen Heizern abräumen zu lassen. Ich kann seine Entscheidung gut verstehen. Auch ich war bereits gewillt, dem ein oder anderen Fahrer deutlich zu machen, was ich von seiner Fahrweise halte. Überholmannöver rechtzeitig anzusagen und trotz Wettkampf das nötige Maß an Rücksicht walten zu lassen, war bisher stets Ehrensache, ist offenbar aber völlig aus der Mode gekommen.  

Nun firmiert Marco also vom Fahrer zum Betreuer um und pusht mich. In der Nacht war ich bis auf Platz 22 abgerutscht. Nach oben ist der Abstand aber recht gering, wie er informiert. Platz 20 wäre in jedem Fall noch machbar. Und so spule ich, inzwischen deutlich frischer als am Abend, wieder fleißig Runde um Runde ab. Marco agiert in seiner neuen Aufgaben nicht weniger emsig. Er füllt Flaschen, reicht Gels an, informiert über die Platzierung und feuert an. 
Es dauert gar nicht lang, bis Platz 20 tatsächlich erreicht ist.
Ein erneuter Schaltungsdefekt zwingt mich aber schon bald wieder in die Boxengasse. Diesmal sogar zu Fuß, denn die Kette hat sich unlösbar hinter dem Ritzel verklemmt und blockiert den Freilauf. Die Reparatur gelingt, kostet jedoch viel Zeit und damit die Platzierung. 
Doch Marco lässt nicht locker. Kaum bin ich wieder auf der Strecke, informiert er mich, dass ich Rundengleich mit meinem Kontrahenten bin, der aber offenbar auch pausiert.
"Platz 20 ist erreichbar, Platz 19 hat auch nur eine Runde Vorsprung - da geht noch was", ruft er mir zu und reicht die nächste Flasche an.

Es ist ist im Grunde witzlos, wird hier doch schließlich um die goldene Ananas gefahren. Auf dem Treppchen bei der Siegerehrung stehen die Plätze 1-3, der Rest fällt eh über den Tellerrand. Und doch ist bei uns beiden eine gehörige Portion Ehrgeiz ausgebrochen, die wir jetzt in vollen Zügen kosten wollen.

 Auf einer nächsten Runde ruft mir Marco zu: "Du bist jetzt auf 20, Rundengleich mit 19.", und kaum ist diese Runde absolviert, erfahre ich, dass es nach oben weiter eng beieinander ist. 
"18 ist machbar - der fährt deutlich zu langsam."
Offenbar hatte der Fahrer nicht mit meiner Aufholjagd gerechnet und sich mit seiner Platzierung bereits sicher gefühlt. Möglicherweise ist ihm die Goldene Ananas auch einfach nur scheißegal.
Mir ist die Ananas nicht egal, ich will auf Platz 18 - nochmal rausholen, was eben noch rauszuholen ist.
"Du brauchst ne relativ entspannte Runde mit unter 30 Minuten", erfahre ich von Marco. "Dann kommst du vor 12 über die Ziellinie und kannst eine weitere Runde dranhängen. Die kannst du dann piano fahren." 

Entspannte Runde...pah! Mit über 230 Km in den Beinen ist keine Runde entspannt - egal in welchem Tempo sie gefahren wird. Dennoch frage ich Marco, was ich in den 30 Minuten alles anstellen soll und schlage einen Stop zum Kaffeetrinken vor, lege dann aber trotzdem die Kette nach rechts und trete an, so gut es eben noch geht.

Brennende Oberschenkel, die bei jedem Tritt einen reißenden Schmerzimpuls an das Gehirn senden, begleiten mich den Monte Schlack hinauf, den ich tatsächlich noch einmal im Wiegetritt zu erklimmen schaffe. In der Abfahrt schlagen dann bei jeder Bodenwelle meine Zähne wild aufeinander. Mir fehlt schlicht die Kraft, den Kiefer anzuspannen.

Ich bin alle, bin platt, völlig ausgelutscht. Und doch muss es weitergehen.
Der Bunny Hopp über den Kantstein vor dem Gegenanstieg wäre beinahe gänzlich missglückt. Hart schlägt die Felge auf dem Granitstein auf und jeglicher Schwung verpufft im Nirvana.
Schalten, antreten, wieder Wiegetritt und wieder explodierende Muskelfasern. Hoch, einfach nur hoch. Es ist nur eine kleine Welle, aber 28 mal erklommen, tut auch die weh.

"Diese und noch die folgende Runde, dann ist es geschafft", zwinge ich mein Gehirn eine Botschaft an den Körper zu senden, der mir am Emscher-Anstieg den Mittelfinger zeigt und kapitulierend lieber schieben möchte. Doof nur, das ich wegen der mit Matsch verklebten Pedale nicht ausklicken kann und deshalb zwangsläufig fahren muss. In der Abfahrt wartet dann der Sportograf. Ich versuche mir ein Lächeln abzuringen, aber es wird eher eine groteske Fratze.

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich den Zielbogen durchfahre, folgt der nervöse Blick zur Uhr. Es ist noch vor zwölf - ich habe es geschafft. Ich darf noch eine Runde dranhängen, noch einmal - ein allerletztes mal - den Monte Schlacko bezwingen. Es wird eine Ehrenrunde, auf der ich es mir nicht nehmen lasse, in der AC/DC Kurve anzuhalten, um mich für die gute musikalische Untermalung zu bedanken. Ohne es zu wollen, rutscht mir ein "Wir sehen uns im nächsten Jahr" heraus.
Nun gut.... ein Mann - ein Wort! 
















































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