24 h von Duisburg. Der Monte Schlacko trennt die Spreu vom Weizen



Warum tue ich mir diese Tortour eigentlich an? Anstatt in meinem bequemen Bett zu kuscheln, sitze ich im Sattel und quäle mir bei diffusem Licht der Akkulampe eine Runde nach der anderen durch den nächtlichen Duisburger Landschaftspark ab. Seit Stunden wechsele ich mich nun regelmäßig mit meinen Teamkollegen Werner, Thorsten und Norbert im tagsüber zwei Runden und nachts drei Runden Tournus ab. Geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid.
Davon merke ich derzeit allerdings nur wenig. Grade habe ich mal wieder den Monte Schlacko bezwungen. Diesen verflixten Berg am Ende der Runde mit seiner enormen Steigung. Er fordert mir jedesmal wirklich das Letzte ab. Es ist nicht nur ein Kampf mit dem Berg, es ist auch der innere Schweinehund, der bezwungen werden muss. Letzteres gelang mir tagsüber noch recht gut. Bei Sonnenschein und staubtrockener Strecke fanden sich dort reichlich Zuschauer ein, um die sich quälenden Fahrer anzufeuern. Diese Form der Motivation fehlt jetzt in der verregneten Nacht. Außer einem stockbesoffen herumgröhlenden Spätteenager aus der Kategorie ``ich benehm mich scheiße - fühl mich aber wohl dabei´´ sehe ich am Berg nur noch ein paar einzeln herumstehende Frauen, die gespannt darauf warten, ihre Männer, die hoffentlich in Kürze dort eintreffen, anfeuern zu können. Selbst mein leidender Gesichtsausdruck kann keine von ihnen dazu bewegen, auch für mich zu klatschen. Ein mitleidiges, müdes Lächeln einer Einzelnen ist der karge Lohn, den ich in dieser Runde ernten kann.

Ich bin in der zweiten von drei zu fahrenden Runden, als mir auf der letzten Abfahrt vor dem Start/Zielbereich die Kette vom Blatt springt und sich so unglücklich zwischen Hauptrahmen und Hinterbauschwinge verkeilt, dass ich sie nicht wieder herausbekommen kann. So laufe ich schiebend durch die Nacht in die Wechselzone.
Der Werner, der mich ablösen soll, ist natürlich noch nicht da, denn der geht ja davon aus, dass ich noch die dritte Runde fahre und mindestens 20 Minuten auf der Strecke sein werde. So schnell es geht laufe ich daher weiter zu unserem großen Gruppenzelt, in dem sich neben unserem Saubären Team auch Relef und Ulrike, sowie das Team Schöner mit und um Janibal eingerichtet haben. Werner kommt mir bereits entgegen. Der Umstand, dass er zuvor tagsüber einen Wechsel mit mir verpatzt hatte und ich daraufhin völlig ausgepummpt zu einer außerplanmäßigen dritten Runde hatte aufbrechen müssen, ist ihm so unangenehm, dass er nun stets extrem frühzeitig in die Wechselzone aufbricht. Das Staffelband wechselt den Besitzer, während ich ihm in knappen Worten berichte, warum er nun früher als geplant fahren muss. Werner prescht los, während ich mich an die Werkzeugkiste begebe, um die Kette zu befreien. Es gelingt allerdings nur mit vereinten Kräften und Dank Demontage der Kurbelgarnitur.

Die ``Freizeit´´ zwischen meinen Runden nutze ich Nachts wie Tags zum Duschen, zur Nahrungsaufnahme, für kurze Nickerchen und für die Radinstandhaltung. Gelegentlich werden noch zusammen mit der Freundin schnell die beiden Familienhunde, die uns nach Duisburg begleitet haben, ausgeführt. Um sich das Rennengeschehen oder den Landschaftspark etwas genauer anzusehen, bleibt gar keine Zeit.

Die ungewohnten Intervalle der Nahrungszufuhr zu später Stunde stellen für meinen Magen eine ungewohnte Belastung dar. Mit dem Schlafentzug komme ich hingegen gut zurecht. Allerdings meldet sich die schmerzende Sehne im Knie mit jedem gefahrenen Kilometer immer stärker. Als der Morgen zu grauen beginnt, sind die Schmerzen so stark, dass ich an Aufgabe denke. Dieser Gedanke wird wieder verworfen. Die anderen Fahrer sprechen mir Mut zu. Jan packt mich beim Ehrgeiz ``Relef und Ulrike kämpfen sich gar zu zweit durch das Rennen´´.
Außerdem hab ich meiner Freundin, ohne zu wissen, dass es diesmal statt dessen ein Handtuch geben wird, das Finishershirt versprochen. Und das will schließlich auch ehrenhaft erworben werden.
Es wird beschlossen, dass ich vorerst nur noch eine Runde fahre, um das Knie etwas zu entlasten. Meine Teammitglieder fahren zudem jetzt auch tagsüber drei statt zwei Runden, damit ich etwas längere Regenerationsphasen habe.

Mit freudiger Begeisterung stelle ich fest, wie schnell ein so wild zusammengestellter Haufen unter Belastungssituationen zu einer gut harmonisierendem und funktionierendem Gruppe zusammenwachsen kann. Elf, sich zum Teil wildfremde Menschen und zwei Hunde auf engstem Raum unter einem Zeltdach und nicht der Anflug von Spannungen oder gar Streit. Stattdessen viel Spaß und Gelächter und gegenseitige Hilfestellung lassen dieses Wochenende auch abseits der Strecke zu einem unvergesslich schönem Erlebnis werden.

Als einziger werde ich ein wenig murrig, als der Werner das zweite mal einen Wechsel mit mir versemmelt. Das ich nur noch eine Runde fahren soll, hatte er offenbar vergessen. Diesen Umstand können wir wohl getrost der Müdigkeit und der körperlichen Belastung ankreiden. Als ich vergebens durch die Wechselzone laufend nach Werner Ausschau halte bin ich noch arg verstimmt, als ich ihn dann nach der weiteren Runde zu der ich durchgestartet war aber dort antreffe, gibt es ein shakehands und es treffen sich ein entschuldigendes und ein verzeihendes Lächeln. Alles wieder gut!

Nach dem Frühstück, für dessen Reichhaltigkeit der Veranstalter an dieser Stelle mal gelobt sein soll, bleibt für mich noch eine letzte Runde zu fahren. Zutrauen tue ich sie mir nicht mehr. Alles in mir streubt sich dagegen mich nochmal auf´s Rad zu setzen. Der Körper schmerzt, der Geist ist matt und die Motivation auf dem Nullpunkt. Wieder ist es Jan, der mir verbal in den Hintern tritt. Mit seiner freundlich lustigen, aber als Trainer und Mentor auch kein Nein aktzeptierenden Art macht er mir klar, dass jetzt nochmal Biss zu zeigen ist.

Mit eingezogenem Kopf und dem bedauernden Gesichtsausdruck eines gerade getadelten Schülers ziehe ich mir nochmal die Radschuhe an. Ich nehme eine Schmerztablette wegen des Knies, creme den Gaumen mit einem dieser wiederlichen Koffeingels mit nicht definierbarer Geschmacksrichtung ein und spüle den ganzen Klackermatsch mit einem Energiedrink vom Feinkostdiscounter runter.
Dieser Cocktail wirkt. Zumindest im Magen. Denn der rebeliert zu Beginn meiner letzten Runde ganz gewaltig. Zweimal schlucke ich gegen den Brechreiz. Ich lasse die Produkte des Verdauungsprozesses aus meinem rebellierenden Magen-Darmtrakt gasförmig entweichen (wer hinter mir fährt, fällt jetzt vom Rad), dann ist Ruhe im Karton.
Der Magen hat sich beruhigt und nun spüre ich auch, dass die hohe Dosis Koffein nicht wirkungslos bleibt. Die Beine fühlen sich frischer an, das Knie schmerzt weniger arg. Der Puls ist eigentlich zu hoch und die Atmung daher etwas flach. Aber ich bekomme nochmal richtig Druck auf´s Pedal und kann mich an einen Fahrer dranhängen, der offensichtlich doch etwas leistungsstärker ist, als ich es eigentlich bin. Aber ich bleibe dran, hänge mich, trotz seiner ständigen Versuche mich durch scharfe Antritte nach Engstellen abzuhängen, immer wieder in seinen Windschatten. Seine glattrasierten, eingeölten Waden schimmern in der Sonne mit dem Schweiß auf meiner Stirn um die Wette.
Am Fuße des Monte Schlacko hat er dann einen Kettenklemmer. Ich ziehe nicht vorbei und bleibe Sportsmann. Er hat mich die ganze Zeit gezogen, dafür schiebe ich ihn nun ein Stück an, bis seine Kette wieder aufliegt. Den Gipfel erreiche ich kurz hinter ihm. Auf der abschließenden Abfahrt bin ich aber schon wieder neben ihm und wir passieren zeitgleich die Zeitmessung. Ein kurzer, verbschiedender Blick. Er nickt, ich nicke, dann tritt er nochmal an, um auf eine weitere Runde zugehen, während ich völlig erschöpft in die Wechselzone abbiege.



So schnell ist es wieder Geschichte, das große Saisonhighlight 2011.
Plazierungen und Bilder demnächst hier: http://www.24h-duisburg.de/content.php?folder=124
Es hat viel Spaß gemacht. Vielen Dank an alle Teammitglieder für die gute Stimmung. Dank auch allen Helfern und Posten auf und an der Strecke. Mein ganz besonderer Dank aber gilt Manon für die exellente Betreung, Pflege und Versorgung von Mensch und Tier.

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