24 h Duisburg 2012

Auch in diesem Jahr haben Manon und ich die 400 Km weite Anreise nicht gescheut. Allerdings verläuft sie diesmal völlig anders als gewohnt. Irgendwie viel zu stressfrei und reibungslos. Das ist mir in gewisser Weise ein wenig unheimlich. Da kann was nicht stimmen, denn: Das Rad ist geputzt und einsatzbereit und auch die anderen Sachen scheinen, dank Packliste, am Donnerstag bereits vollzählig zusammengestellt.

Manons Chef unterstützt den Breitenradsport wieder einmal mehr. Der von seiner Praxis kostenfrei zur Verfügung gestellte Transporter trifft planmäßig am Freitag Mittag bei uns ein und die Sachen sind schnell verladen. So starten wir unsere Fahrt um 15.00 Uhr und kommen anfangs auf der A 1 auch super voran. Bis vor die Tore Hamburgs. Dann hat der Spaß sein jähes Ende gefunden. Eine Baustelle reiht sich hinter die nächste. Viele Spursperrungen, viele Arbeitsgeräte - nur Arbeiter, die sieht man nicht. "Die Asphaltfritzen haben es gut." denke ich, "Freitag Mittag bereits Feierabend, während unsereins ohne den eingeschobenen Urlaubstag bis 18.00 Uhr hätte schuften müssen." Meine 50+ Stundenwoche kommt denen vermutlich nicht mal in ihren schlimmsten Träumen unter.

Während wir uns einmal mehr die Sinnfrage nach in den Ferienzeiten aufgerissenen Autobahnen stellen, kullert unser Auto mit 80 Km/h über die Bahn. Der Motor brummt monoton. Straßenmarkierungen und rot/weiße Barken huschen in ewig gleichen Zeitabständen vorbei. Nichts an dem sich das Auge festhalten, der Geist sich erfreuen könnte. Irgendwann verwischt das Ganze zu einem, von Leitplanken umrahmten, verschwommenem Strom aus Zeit und Raum, dessen Sog unser Auto aufzusaugen scheint.

Als ich die Augen wieder öffne, scheint alles um mich herum etwas seltsam und befremdlich, als befände ich mich in einer anderen Epoche. Mein Hungergefühl jedenfalls ist real und so beklage ich diese Tatsache bei Manon. "Nahe dieses Weges gelegen befindet sich das Wirtshaus zum goldenen M, welches recht wohlschmeckende Nahrung feilbietet", erzählt sie mir. Und so machen wir dort Rast. Allerdings drängt sie ein wenig zur Eile. Der Weg bis zur Burg von Duis sei noch weit und die Straßen und Wege um diese Zeit recht belebt.

Tatsächlich reihen sich Kolonnen von Kreuzrittern, Pilgereren, Wahlfahrern und anderen Reisenden aneinander. Ein Ochsenkarren folgt dem Nächsten. Bei einigen ist der Ochse vorgespannt, bei wieder anderen sitzt er auf dem Kutschbock. Aber wir kommen voran und es bietet sich ein atemberaubender Anblick auf den beleuchteten Hochofenturm, als wir das hell erleuchtete Turniergelände rund um die Burg am frühen Abend erreichen.



An diesem Turnier der Jedermänner darf auch jeder teilnehmen. Vom Knappen bis zum Ritter, von der Magd bis zur Prinzessin. Ziel ist es außerdem nicht den Gegner mit der Waffe aus dem Sattel zu heben, sondern ihn durch gekonnten Ritt über das Turniergelände in benötigter Zeit und Anzahl der Runden zu schlagen. Viele unserer Waffengefährten sind bereits vor uns eingetroffen. Knappe Dennis stammt aus dieser Region. Er begeht ein solches Turnier zum ersten Mal und will sich hier seinen Ritterschlag verdienen. "Der mutige Michael" und "Der rüstige Ralf" sind ebenfalls schon da. Ich werde das Viererteam komplettieren.

In der Waffengattung Zweierteam/männlich wird sich der für morgen erwartete "Ritter Jörg" beweisen müssen. Ihm wird jedoch nicht bange sein. An seiner Seite wird ein außergewöhnlicher Reiter um eine vorzeigbare Platzierung kämpfen. Ein Mann der bei Jung und Alt sich großer Beliebtheit erfreut und besonders auf das weibliche Geschlecht, auch Dank handsignierter Portraitzeichnungen, eine magische Anziehungskraft auszuüben scheint. Ein Mann, der durch seine schier grenzenlose Ausdauer und tagelangen Ritte bekannt wurde. Es handelt sich um keinen Geringeren, als um den ungekrönten König der Breitensportler "Siegfried der Schwerenöter" alias "Iwan der Schreckliche" alias "Ritter Janibal", der unser Eintreffen freudig begrüßt.

Die Dunkelheit bricht schnell herein, nachdem das Lager aufgeschlagen und die Abendmahlzeit verschlungen ist. Während Janibal noch mit seiner Begleiterin Sabine die Zinnen der Hochofenburg besteigt, kehrt im Lager schnell Ruhe ein. Alle anderen sind von der Anreise stark gezeichnet und gehen zeitig schlafen. Als die Stimme des Hahns bereits heiser und die Sonne längst aufgegangen ist, erwacht auch unsere Truppe. Dennis bringt frische Backwaren und des Metzgers beste Räucherware und so beginnen wir kauend und Kaffee schlürfend unsere Taktik zu besprechen und uns mental auf die bevorstehenden Strapazen vorzubereiten. Und nachdem dann die Rüstungen angelegt und das Sattelzeug und die Eisen der Gäule überprüft sind, begeben wir uns auf die erste Proberunde.



Die Streckenführung hat sich zum Vorjahr nicht verändert. Wechselzone bzw Start/Zielbereich befinden sich wie gewohnt nahe der Ausstellermeile, auf der so manch fahrender Händler seine Ware anbietet. Neben Zubehör und Ersatzmaterial für Roß und Reiter gibt es für die eine oder andere hart verdiente Golddublone auch reichlich vielversprechende Nahrungsergänzungsmittelchen und Tinkturen aus den geheimen Kammern der Alchimisten, auf deren vitalisierende Wirkung auch ich später noch zurückgreifen werde.

Alsbald folgt der erste Anstieg, an dem der Gaul das erste Mal die Sporen zu spüren bekommen wird. In einigen der folgenden, recht engen Kurven ist der Bock dagegen schwer zu zähmen. Viel loser Sand und Split hier und vielerorts auf der Strecke, lassen die Hufeisenpneus wenig guten Halt finden. Es folgt eine lange Flachpassage. Hier bietet sich die Möglichkeit sich an der mitgeführten Wasserflasche zu laben und das Roß ungezügelt freien Lauf zu lassen. Im weiteren Streckenverlauf folgt eine waghalsige Konstruktion aus Lichtgittereisen, in der sich die Hufeisen festkrallen und für einen sehr unruhigen Lauf sorgen. Hier herrscht Überholverbot. Ebenso auf der folgenden Treppenabfahrt, bei der es für ganz besonders ängstliche Reiter oder Pferde auch einen Hühnchenweg gibt. Im anschließenden Tunnel ist die Sicht arg eingeschränkt. Aus der blendenden Sonne führt das Geläuf in die Dunkelheit. Bis sich die Augen umgestellt haben, setzt man den Ritt einige Meter in absoluter Blindheit fort.

Es wird ein Teil des Lagerplatzes durchquert, bevor es in die Staubwüste geht. Hier wurden jahrelang die Verbrennungsrückstände aus der Eisengewinnung für die Rüstungsproduktion verscharrt. Schwarz wie die Hölle ist der Boden. Schwarz auch Roß und Reiter durch den Staub. Die folgenden Waldpassagen fordern durch stetigen Wechsel von Auf und Ab zwar einiges an Kondition, sind durch Schatten und frische Luft jedoch dennoch ein Wohltat. Es liegen ab hier noch drei nennenswerte Steigungen vor den Turnierteilnehmern. In einer, der AC/DC Kurve genannten, gibt eine einheimische Kapelle Klänge diverser Musiker im Stile der "Quacksalber" (Ärzte) oder der "Toten Beinkleider" (Toten Hosen) in ohrenbetäubender Lautstärke zum Besten. Eine weitere Steigung wird später in der Nacht gesperrt werden müssen. Zu tief aufgerissen ist der Boden in der folgenden Abfahrt. Die Verletzungsgefahr der Ritter trotz Helm zu groß.

Was bleibt, ist der Monte Schlacko. Eine steile, kräftezehrende Rampe. Die ganze Nacht hindurch wird man hier das Hofvolk der Duis Burg antreffen. Mit Rufen und Klatschen wird ein jeder wie ein Held bejubelt. Die letzte Abfahrt bedeutet dann entweder Wechselzone oder Zeitmessung für eine weitere Runde.

Das Turnier selbst verläuft für uns wenig spektakulär. Abgesehen von meinem wunden Hintern bereits nach der zweiten Runde (König Janibal hilft mit Creme aus) haben wir nur geringfügige Probleme zu vermelden. Als am frühen Morgen meine Kette Mucken macht, springt Dennis spontan ein. Der Mangel ist mit Reinigung und Öl schnell behoben. Dennis verliert irgendwann eine Schraube seines Steigbügels (Cleat). In der Werkzeugkiste findet sich aber passender Ersatz. Ralf ist in seiner letzten Runde gar zu rasant unterwegs. Seinem Gaul reißt der Antrieb und er muss ihn am Zügel in die Wechselzone führen. Zu Stürzen und Verletzungen kommt es auf der Strecke recht häufig. Viele Jungsporne reiten extrem aggressiv. Wir bleiben zum Glück verschont.

Dafür sieht es in unserem Lager aus wie nach einer Heeresschlacht. Alles bleibt stehen und liegen, wo es zuletzt benutzt und nicht mehr gebraucht wird. Manon und Sabine kommen mit Aufräumen und Abwaschen gar nicht hinterher. Immerhin verlaufen alle vereinbarten Wechselintervalle im Team reibungslos. Die Zeiten bewegen sich im Schnitt zwischen respektablen 21 und akzeptablen 28 Min. Das können allerdings 122 Teams noch etwas schneller als wir.

Leider bleibe ich von der eigenen Leistung ein wenig hinter meinen Erwartungen zurück und fahre etwas schwächer als im Vorjahr. Bei einer Runde allerdings vermute ich einen Fehler bei der Zeitnahme zu meinen Ungunsten. Eine 33´er Runde kann nicht sein. In der Zeit könnte ich die 8,5 Km ja beinahe laufen. Smile Macht aber nichts. Es gibt schlimmere Dinge im Leben.


Nach etwa 20 Stunden sehnen wir das Ende der Veranstaltung herbei. Körperliche Anstrengung und wenig Schlaf lassen uns die heimischen Gemäuer herbeisehnen. Und dann ist es plötzlich vorbei. Die Uhr ist abgelaufen-die 24 h sind rum. Irgendwie doch wieder viel zu schnell verging die Zeit. Und so räumen wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge, nicht jedoch ohne zuvor ein Gruppenbild für die Ahnengalerie auf eine digitale Leinwand zeichnen zu lassen, unsere sieben Sachen zusammen und treten die Heimreise an.

Während der Rückfahrt überkommt mich die Müdigkeit schon nach wenigen Minuten und ich schlafe erschöpft, aber zufrieden ein. Als ich erwache, stehen wir auf der A1 vor den Toren Hamburgs im Stau. Die Realität hat mich wieder und schlägt sofort unerbittlich mit voller Härte zu. 400 km = 8 Stunden Reise. Davon 2 Stunden reine Wartezeit. Das toppt nur die Bahn. Zum Glück hab ich noch einen Tag Urlaub...

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