24h Wittenborn


Im Westen nichts neues!

oder
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Denn irgendwie kam tatsächlich alles anders als gedacht.

 
 

Ein 24 h Rennen ist für mich im Grunde ja tatsächlich nichts Neues. Eine solche Hatz im Kreis um Rundenzahlen und Rundenzeiten habe ich bereits in Duisburg und Osnabrück mehr oder minder erfolgreich absolviert. Neu hingegen ist, dass es nun auch ein solches Rennen bei uns gibt. Ebenfalls neu ist, dass ich erstmalig nicht im Viererteam starte. Auch neu: Manon fährt ihr erstes Rennen!

Nach gerade mal 6 Monaten auf dem MTB, traut sie sich, nachdem ich sie ganz frech einfach mal mit angemeldet habe, tatsächlich an den Start in der Königsdisziplin des Offroad-Radelns. Unsere Taktik ist ebenso klar festgelegt, wie simpel. Im steten Wechsel fährt jeder so lang er kann und mag: Sie ein wenig weniger, ich ein wenig mehr. Und wenn es gar zu anstrengend wird, so vereinbaren wir, dann reichen uns auch 12, 14 oder 16 Std. Heil ankommen und Spaß haben, das ist uns wichtig. Gewinnen werden wir ohnehin. Und zwar an Erfahrung!

Anreisetag ist für uns bereits der Freitag, obwohl Wittenborn fast vor unserer Haustür liegt. Wir wollen uns am Morgen vor dem Rennen nicht noch mit so Kleinigkeiten wie Anfahrt, Auto ausladen und Zeltaufbau stressen, zumal unser Supporter Hans Werner am Donnerstag ganz spontan absagte und wir so auf uns allein gestellt sein werden.

Nachkommen will am Samstagmorgen der Janibal. Seine Ausrüstung wollen wir zu seiner Entlastung aber schon mitnehmen. Als wir bei ihm vorfahren, ist seine Frau etwas verdutzt. Sie berichtet, dass er über das Wochenende arbeiten muss und ist verwundert, dass er uns noch nicht informiert hat. Wir verbuchen also Absage Nummer 2.  Spätestens jetzt hätte mir klar sein müssen, dass immer alles anders kommt.

So langsam vergällt es uns ein wenig die Laune, weil auch der Hund noch mit Vergiftungsverdacht zum Tierarzt muss und wir fürchten, dass er stirbt! Zum Glück kommt immer alles anders!

Laune wieder besser, wird sie weiter erheitert, als wir in Wittenborn eintreffen. Von einem wie immer super gelaunten Klaus Röhr (Veranstalter) werden wir herzlichst empfangen und bekommen mit den Worten "Sucht Euch´ne schöne Ecke aus" eine große Zeltwiese nahe an der Strecke zugewiesen. Wir verziehen uns in eine Ecke ganz am Rand, um auch Platz für später eintreffende Teams zu lassen. Dabei vergessen wir völlig, dass es bei diesem Rennen einen Stromanschluss für jedes Team geben wird und wir auf die Nähe zum Stromkasten hätten achten sollen. Unsere mitgebrachten Kabeltrommeln reichen hintereinander gereiht so gerade eben. Nur einen Adapter für den Stromkasten haben wir nicht. Den gibt es beim Platzwart. Nur hat der sein Büro nicht mehr geöffnet, denn der ist eifrig damit beschäftigt, in seinem Golfcaddy über den Platz zu düsen und den Neuankömmlingen im Kasernenhofton die Hausordnung beizubringen.

Auch wir werden zu späterer Stunde von ihm nicht verschont bleiben, als wir unseren Grill anzünden wollen.  "Offenes Feuer sei auf einem Campingplatz verboten". Unwillkürlich fahren Manon und ich angesichts des Tonfalls ein wenig zusammen. Vorsichtshalber verstecke ich meine glimmende Zigarette hinter dem Rücken. Man weiß ja nie!  Klaus bekommt das offenbar mit, beschwichtigt, obwohl gar nicht nötig, zuerst uns und später vermutlich auch den Platzwart, denn der wird am nächsten Morgen deutlich freundlicher zu den Fahrern sein.

Das Stromproblem lässt sich sofort lösen. Klaus, der ebenso wie seine Frau, unermüdlich und ständig über den Campingplatz wieselt, um noch dieses oder jenes zu organisieren, kann mit einem Adapter für die erste Nacht aushelfen. Prima! Ohnehin haben wir den Eindruck, dass es für Klaus & seine Crew keine unlösbaren Probleme gibt. Wo auch immer wir mitbekommen, dass ein Team eine Frage oder ein Problem hat, ist sofort jemand von der Orga zur Stelle und setzt sich mit Feuereifer zur Lösung ein. Respekt!

Wir erhalten alsbald schon Duschmarken für den Sanitärbereich und können ganz nebenbei auch unsere Früstücksbestellung aufgeben. Da wir uns aber auf die von Klaus angekündigte Selbstverpflegung eingestellt haben, lehnen wir das Buffet der angrenzenden Gastronomie ab und bestellen lediglich Brötchen für den Morgen. Ein Fehler, wie uns am nächsten Morgen berichtet werden wird. Das Buffet soll sehr reichhaltig und lecker gewesen sein.

So neigt sich der Freitag seinem Ende. Wir sitzen vor unserem illegalen und potenziell flächenbrandverursachenden Grill, futtern Würstchen und sehen den anderen Teams beim Zeltbau zu. Sehr professionell ausgestattet sind die Fahrer vom Team Pirate Hamburg. Mit mehreren Campingbussen fahren sie vor und nehmen aufgrund ihrer großen Fahreranzahl den halben Zeltplatz ein. WOW, was für ein Auftritt! Ein gewisses Meideverhalten anderer Teams ist aber unübersichtlich. Die Piraten, das hört man bei vielen Veranstaltungen, genießen keinen besonders guten Ruf. Warum das so ist, werden sie uns später auch noch demonstrieren.

Wir sind weniger komfortabel ausgestattet, schlafen bei einsetzendem und bis zum Morgen anhaltenden Regen im mitgebrachten Anhänger, dessen Plane wir an einer Seite offen lassen und daran ein Tarp spannen, dank unseres Heizlüfters aber auch nicht schlecht - jedenfalls solange wir Strom haben. Der geht nämlich früh morgens samt der Sicherung flöten, weil (wer auch sonst?) die Piraten sich ungefragt mit ihren Bussen in unsere Stromleitung gehängt haben und mehr Saft ziehen, als die Leitung vertragen kann.

Richtig macht es hingegen unser direkter Nachbar, der ebenfalls Klaus heißt. Etwas schüchtern, aber freundlich fragt er, ob er eventuell mit an unsere Leitung kann. Mehr als einen Wasserkocher habe er nicht und sollte die Sicherung fliegen, würde er sofort loseilen und sie wieder einsetzen. Mit diesem netten Kerl teilen wir gern. Also alle Fremdstecker raus, Klaus mit angeschlossen, Sicherung wieder rein, Kaffeewasser aufgesetzt und Frühstück!

Schneller als uns lieb ist vergeht der Samstagvormittag. Wir verpassen das Briefing beinahe und basteln eilig die Transponder an die Räder, während noch einmal die etwas umständliche Zeitnahme erklärt wird. Dann fahren wir eine Proberunde. Alle Achtung! Fast 5 km lang, 90 % Singletrail, ein extrem welliges Profil. Sehr viel seitliche Hanglage mit in alle Himmelsrichtungen verlaufenden Wurzelteppichen. Flachstücke um zur Trinkflasche oder nach dem Energiegel zu greifen, gibt es eigentlich nicht. Hier brauchst du stets beide Hände am Lenker.

Grundsätzlich eine sehr geile Strecke!!! Allerdings eher für ein XC- als für 24 Std.-Rennen, so scheint es mir zumindest. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Fahrer auf dieser Strecke, die deutlich fordernder ist, als andere Strecken bei solchen Rennen, über einen so langen Zeitraum die nötige Kondition und Konzentration werden aufrechterhalten können.



Ich finde das Ganze recht grenzwertig, weil der anhaltende Regen, der die Strecke größtenteils knöcheltief aufweicht, sie zur absoluten Rutschpartie macht und sie an vielen Stellen, insbesondere an den Wurzeln, bereits jetzt kaum befahrbar ist. Hinzu kommt, dass man sich an drei Stellen begegnet. Bei Tageslicht ist Gegenverkehr kein Problem. Aber nachts mit den extrem hellen Lampen?



Manon ist schockiert. Sie hat Angst, dass sie zu langsam und zögerlich ist und von überholenden Fahrern von der Strecke gedrängelt wird und will daher kneifen. Das geht aber nicht, denn ich möchte in jedem Fall starten und da wir als Zweierteam gemeldet sind, muss sie wenigstens einmal von der Zeitnahme erfasst werden. Zudem ist mir klar, dass ich sie sonst niemals bei irgendeinem Rennen an den Start werde locken können. Daher überrede ich sie die erste Runde zu fahren und ködere damit, dass sie, als Letzte über die Startlinie rollend, wohl kaum von aufholenden Fahrern bedrängt werden kann.

Sie traut sich tatsächlich. Allerdings mehr mir zuliebe, als des Rennes wegen. Zudem knüpft sie ihren Start an mein Versprechen, auf die wegen des Gegenlichts gefährlichen Nachtfahrten zu verzichten. Und so fährt sie unsere erste Runde dieses Rennens und die erste in Ihrem Leben überhaupt in knapp 30 Minuten. Ich bin stolz wie Oskar, sie ist völlig fertig. 

"Noch eine fahr ich aber nicht!", ist das erste, was sie nach Ihrer Rückkehr schnaufend von sich gibt. "Gut, dann hab ich ja 23,5 Std. die Strecke für mich ganz allein", antworte ich und stelle mir innerlich die Frage, ob ich wohl schon vor Einbruch der Dunkelheit vor Erschöpfung vom Rad fallen werde. Sie erinnert mich an mein Versprechen. Mein Veto, dass dabei zu viel potenzielle Fahrzeit verloren geht, stößt auf die tauben Ohren einer sturen Stiergeborenen.

Ist im Grunde auch egal. Da ich von nun an also Solofahrer unterwegs sein werde und meine Kraft hierfür längst nicht ausreichen wird, kann ich mir auch nachts ein Mützchen Schlaf gönnen. Und als Manon auch noch Rückendeckung vom Strom-Klaus bekommt, dem die Strecke für die Nachtfahrt auch zu kitzelig ist, gebe ich mich, fast ein bisschen erleichtert, endgültig geschlagen.

Es hört auf zu regnen, als ich auf die Strecke gehe. Jedenfalls von oben. Von unten kommt mehr Modder und Wasser hoch, als angenehm ist. Das Fahren ist ein Geschlingere und Geeiere sondergleichen. Zweimal liege ich fast, kann aber Stürze vermeiden. Insgesamt 4 von 5 geplanten Runden fahre ich, dann sind die nassen Füße eiskalt und taub. Auch ist die Kraft weg. Also: Rein ins Lager. Schwiegermama ist da. Sie hat Kuchen und Rennradler Olaf mitgebracht. Mit dem netten Typen ist gut fachsimpeln und der Kuchen mundet auch. Dabei vertrödel ich allerdings auch viel Zeit. Macht aber nix. Inzwischen halte ich es wie der Strom-Klaus. Der fährt auch immer nur dann, wenn Lust und Kraft da ist.

Im nächsten Intervall schaffe ich sogar nur drei Runden. Hungerast. Dringend eilige Nahrungsaufnahme nötig, vermeldet der knurrende Magen. Meine Überschuhe haben die Füße auch nicht gerettet. Ist auch nicht viel wärmer, dafür rutschiger an den Stellen, wo mal der Fuß seitlich rausgestellt werden muss. Ist also auch keine Lösung. Also: Rein ins Lager. Manon stellt das Nudelwasser auf den ewig lang brauchenden Gaskocker, ich wechsel mal die Socken und wärme mich auf. Das Mittagessen schmeckt, die Kippe danach aber fast besser. Es dauert recht lange, bis ich mich aus der molligen Wärme der Heizgeräte losreißen und wieder auf die Strecke begeben mag.

Ich fahre zwei weitere Runden. Für mehr reicht die Kraft irgendwie nicht aus. Es wird langsam schattig und kalt auf der Strecke. Die untergehende Sonne blinzelt stellenweise recht tückisch zwischen den Baumstämmen durch und blendet ziemlich fies. Dafür wird der Untergrund zumindest auf der Ideallinie deutlich trockener. Die Strecke wird zusehends besser befahrbar. Jetzt macht´s so richtig Laune! Aber trotzdem: Rein ins Lager. Denn mir ist arschkalt.

Trockene Socken an, Füße und Schuhe vor die Heizung. Welch Wohltat! Ich überrede Manon zu einer weiteren Runde, erzähle ihr, dass sei wie mit dem Reiten. Fällt man vom Pferd, steigt man besser gleich wieder auf, weil man es sich sonst nie wieder trauen wird. Missmutig und etwas motzig düst sie los und kommt nach 25 Minuten mit einem "hat voll Spaß gemacht, ich fahr morgen noch´n paar Runden", zurück.

Die weiteren zwei Runden gehören dann aber wieder mir. Meine Zeiten werden immer besser. Ich liege inzwischen bei 16-18 Min., was aber nichts zu sagen hat, denn die schnellste Runde des Rennens brennt so´n drahtiger junger Bursche mit gerade mal 11 Minuten irgendwas in den Boden. Ich bin leider weder jung noch drahtig, dafür aber reichlich müde. Inzwischen dämmert es und Beleuchtung ist zwingend notwendig. In der ersten Gegenlicht-Passage kommt mir ein Fahrer mit einem unglaublichen Flutlichmast auf dem Helm entgegen. Sehen kann ich nichts und fädel mit dem Lenker in einem Strauch ein, der zum Glück nur wenig Wiederstand leistet. Ich belasse es daher bei den zwei Runden und fahre ins Lager.

Hunger haben wir und mal ´nen richtigen Stuhl unterm Mors wollen wir auch. Also schlendern Manon und ich zuerst zum Duschen (an dieser Stelle sei mal die Sauberkeit der gesamten Anlage und insbesondere des Sanitärtraktes lobend erwähnt) und anschließend zum Restaurant am Campingplatz. Anlässlich des Rennens bietet man hier zu den eigentlichen Kartengerichten auch Pasta Bolognese und heiße Suppe zu vergünstigen Preisen bei extra großen Portionen. Uns ist eher nach Schnitzel. Eine gute Wahl! Schmeckt mit den Bratkartoffeln einfach super lecker und ist jeden Cent wert. Auch ist die Bedienung sehr freundlich und bestens gelaunt.

Nach dem Abendessen wollen wir uns zeitig schlafen legen. Es ist kalt und die Schlafsäcke versprechen vom Heizgebläse kuschelig vorgewärmt zu sein. Sind sie aber nicht. Team Pirate Hamburg hat sich erneut in unsere Stromleitung gehängt und die Sicherung geschmissen. Nachdem ich die Sicherung eingesetzt und den Piraten ihren Stromklautampen ins Pavillionzelt geworfen habe, machen wir die Augen zu.

Um drei Uhr muss ich wieder raus. Es ist nicht die Blase, sondern die Kälte! Der Strom ist weg, die Heizung aus. Übeltäter? Na klar die Pirate´s! Wer denn sonst? Barfuß durch das nasse Gras. Sicherung rein, den Freibeutern erneut ihre Seilschaft ins Zelt gefeuert, lege ich mir schon mal meinen Seitenschneider griffbereit. Ich hab die Faxen dicke. Von jetzt an wird jeder weitere Enterversuch meiner Versorgungstrasse konsequent geandet!

Um 6 Uhr ist es dann soweit. Mal wieder kein Strom mehr. Auf leisen Sohlen zum Stromkasten geschlichen, ziehe ich den Campingplatztyrannen erneut den Stecker. Ich entdecke einen der Stromdiebe. Er hat weder Holzbein noch Hakenhand. Auch seinen Säbel trägt der Pirat nicht und so versuche ich es doch lieber erst mal mit Diplomatie. Trifft allerdings auf wenig Gegenliebe und noch weniger Einsicht. Dafür bin ich rasch umringt von einer ganzen Bande Meuterer. Deren Angebot auf Schläge lehne ich dankend ab, lasse aber vielsagend meinen Seitenschneider in der Luft schnappen. Das wirkt. Sie holen einen Adapter aus dem Campingbus und legen sich selber eine Zuleitung vom Stromkasten in ihr Lager.

Geht doch! Warum nicht gleich so? Als würde es nicht reichen, dass diese Typen auf der Strecke unangenehm auffallen (sie sind die Einzigen im gesamten Starterfeld, die ohne Ansage überholen und riskante Manöver fahren), machen sie auch im Fahrerlager ihrem schlechten Ruf alle Ehre! Sie fahren schnell und sie fahren gut, aber mögen tut sie niemand! Ist der Ruf erst ruiniert, benimmt man sich gern ungeniert.... oder so ähnlich!

Durch diese ständigen Nachtwanderungen fühl ich mich jedenfalls völlig groggy und komm nicht in die Puschen. Manon liegt mit Magenproblemen flach und erst nachdem ich sie ein wenig aufgepäppelt habe, kann ich auf die Strecke. Ich drehe eine zügige Runde. Dann frühstücke ich, fahre zwei noch schnelle Runden und esse mit Strom-Klaus ein Süppchen. Dann endlich bin ich wach. Die letzten drei Runden sind dann wirklich fix. 2 Runden à 16 Min. und die letzte liegt bei 14 Minuten und irgendwas. Dann ist Schluss. 13.00 Uhr. Feierabend. Ende, aus, vorbei!

Zum Glück kündigt Klaus Röhr bereits während der familiär gestalteten Siegerehrung eine Wiederholung für das nächste Jahr an. Reichlich Stimmen verkünden bereits jetzt schon, dass sie wieder dabei sein möchten. Auch wir stimmen voller Überzeugung in diesen Tenor ein und verabreden dabei gleich mit Strom-Klaus gemeinsam in einem Viererteam zu fahren. Denn wir stellen fest: wir haben hier nicht nur Erfahrungen gewonnen! Es kommt eben immer anders.....

P.S. Wir wurden Dritter im Zweier-Mixed. Es waren allerdings auch nur drei Teams dieser Wertung am Start.  Gern lassen wir uns im nächsten Jahr einen Platz auf dem Siegertreppchen streitig machen. Wenn Ihr Euch denn traut....

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