24 Std. Alfsee



Die Anfrage von Kumpel Marco kam etwas überraschend.
<< Ich hab deine Berichte von den 24 Std.-Rennen gelesen.>>, schreibt er mir per Mail.
<< Wollen wir sowas nicht mal gemeinsam fahren?>> , fragt er mich.
<< Äh klar, können wir machen!>>, antworte ich etwas verdutzt. Schließlich erschien mir Marco bisher mehr der gemütliche Tourer, als der sekundenorientierte und Laktat-geile Racer zu sein.
Mit gemeinsam, so wird im Verlauf des Abends klar, meint Marco zudem nicht nur uns beide, sondern auch seine Freundin Nicole und meine Manon. Die Tatsache, dass ich der Einzige mit Rennerfahrung bin, scheint ihn nicht sonderlich zu stören.
Schließlich willige ich ihm zuliebe ein und wir einigen uns auf das Rennen bei Osnabrück. 2011 bin ich dort bereits gestartet und ich hab die Strecke rund um den Alfsee als relativ einfache und auch für Anfänger geeignet in Erinnerung. Dort, so hoffe ich, werden auch meine drei Rookies nicht völlig untergehen, auch wenn dort die Deutsche Meisterschaft der 24 Std. Rennen ausgetragen wird.

Die Anmeldung ist schnell erledigt. Vorsichtshalber stapeln wir mal ganz tief und geben als Teamnamen "Slowmotion Crew" in das Anmeldeformular ein.


Die Anreise am Freitag Abend verläuft entspannt und angenehmerweise Stau-frei. Auf dem Campingplatz angekommen wird es zeitweise etwas chaotisch. Zunächst hat das Orga-Team Probleme uns einen Zeltlatz zuzuweisen, dann scheitert die Anmeldung daran, dass Marco und Nicole noch nicht eingetroffen sind und die Anmeldeformulare nicht persönlich unterzeichnen können. Somit verschiebt sich die Anmeldung auf den nächsten Morgen. Zumindest unsere Supporterin Yvonne wollen wir, wie auf der Hompage des Veranstalters gefordert, noch diesen Abend nachmelden. Allein schon, damit auch sie den notwendigen Stempel erhält um an der abendlichen Pasta-Party teilnehmen zu können. Geht aber nicht!
Die nette und aufrichtig bemühte Dame am Empfangstresen erklärt uns, dass zwar die Teamfahrer bei der Anmeldung diesen Stempel erhalten, Supporter jedoch erst am Samstag nachgemeldet werden können....Peinliche Panne der Rennleitung!
Da genau wie Yvonne, auch Marco und Nicole, die nach Geschäftschluss der Anmeldung am Alfsee eintreffen, keine Pasta-Party-Stempel erhalten, beschließen wir, uns unser Essen nach dem Aufbau der Zelte selbst zu kochen. Es ist später Abend. Die Zelte stehen, der Gaskocher ebenfalls. Nur hat Marco leider den Kochtopf daheim vergessen..... Peinliche Panne unseres Teams!
Doch wir improvisieren und werden trotzdem satt. Und so schlafen wir auch bald glücklich und zufrieden ein.

Das reichhaltige Frühstück am Morgen lässt uns beinahe die geplante Proberunde verpassen.

Eilig schwingen wir uns auf die Räder und stellen schnell fest, dass sich die Strecke zu den Vorjahren stark verändert hat. Sie ist länger und deutlich technischer, was mir persönlich recht gut gefällt. Nicole hat allerdings ihre liebe Müh und Not mit einigen Passagen und nimmt zweimal eine kurze Bodenprobe. Mich hingegen stört der extrem hohe Anteil an Abschnitten, auf denen über Gras gefahren werden muss. Der Rollwiderstand ist dort extrem hoch, was die Reifen unangenehm bremst. Dieser Umstand nimmt der ansonsten gut gemachten Strecke leider jeglichen Flow. Bereits jetzt steht fest, dass dieses Rennen also mehr Kampf als Vergnügen sein wird.
Ebenso klar ist, dass auf dieser Strecke für unser wild gewürfeltes Team kein Blumentopf zu gewinnen sein wird. Zu unterschiedlich ist das Leistungsniveau, zu hoch der Anspruch an das fahrerische Können und die Kondition. Ich fühle mich auf diesem Pacour stark gefordert, wie muss es erst Nicole ergehen, die ja erst kürzlich zum Biken kam und nur wenige Monate an Erfahrung und Radbeherrschung vorweisen kann!?!

So beschließe ich als Teamleiter meinen Mitfahrern ein wenig den Druck zu nehmen (die angepeilten Top Ten können wir eh vergessen) und gebe eine neue Stallorder aus:
<< Wie fahren nicht mehr auf Platzierung. Ambitioniert-ja, aber nicht auf Teufel komm raus. Spaß und heile Knochen haben Vorrang!>>
Dieser Vorschlag stößt auf allseitige Gegenliebe. Während des Rennverlaufs soll sich allerdings eine gewisse Eigendynamik im Bezug auf diese Stallorder entwickeln und jeder macht und tut später nur noch das, wonach ihm grade so ist.


Aus meinen geplanten zwei Runden zu Rennbeginn wird nur eine, weil ich, wie immer, die erste Runde viel zu schnell und hektisch angehe. So fahre ich statt nach zwei Runden in die Wechselzone, nach einer Runde ins Fahrerlager und bitte Marco, früher als geplant auf die Strecke zu gehen.


Dies nimmt das Team zum Anlass, den demokratischen Entschluss zu fassen, fortan alle Wechsel im Lager durchzuführen. Das uns diese Wechsel natürlich unwahrscheinlich viel Zeit kosten, scheint außer mir niemanden zu stören. Im Gegenteil. Trifft ein Fahrer im Lager ein, macht sich erst jetzt der Nächste zum Renneinsatz fertig. In aller Seelenruhe werden Flaschen gefüllt, Trikots angezogen und Tachos genullt.

Meine Renn-Ambition steht frustrationstechnisch an der Kotzgrenze.




Dennoch spulen wir bis zum frühen Abend fleißig unsere Runden ab. Nicole stellt jedoch bereits nach ihrer ersten Runde fest, dass sie mit der Strecke überfordert ist. Nach einer Rundenzeit von 1:45 Std. wirft sie das Handtuch. Zunächst teilt sie mit, dass sie zumindest nachts nicht fahren mag, später macht auch ihr schmerzendes Knie für Sie die Fortsetzung des Rennens unmöglich....
Die Dani ist zum Glück zu Besuch. Sie leiht sich bei Manon den Raddress und das Rad bei Nicole und düst auf die Strecke. Nachdem sie von ihren Rennrad-Rennen in Hamburg und Berlin geschwärmt hatte, hoffe ich auf einen leistungsstarken Ersatz für die angeschlagene Nicole. Aber auch Dani stellt fest, dass auf Straßen und mit schmalen Reifen jeder fahren kann, Mountainbiken hingegen eine ganz andere Liga ist. Und so winkt auch Dani nach einer Runde im Schneckentempo ab und verweigert die Weiterfahrt.

Auch der Marco möchte Nachts lieber nicht fahren. Zu technisch ist die Strecke, zu ausgelaugt die Beine.
Angeschlagen sind wir alle. Ab sofort sind wir definitiv auch nur noch zu dritt. Wir beschließen uns ein paar Stunden Schlaf zu gönnen. So fährt Manon unsere letzte Runde bis 00.30 Uhr.




Um 02.00 Uhr klingelt für mich der Wecker. Ich will mich grad aus dem Schlafsack schälen, als ich von Manon erfahre, dass Marco das Rennen offenbar bereits aufgegeben hat. Mit << ich schlafe Sonntags eigentlich ganz gerne aus. Vor 10 Uhr steh ich morgen nicht auf! >> wird er zitiert.
<leck mich> denke ich und bleibe liegen! Denn spätestens jetzt hab auch ich die Faxen dicke. Ich war mit ambitionierten Erwartungen in ein Rennen gestartet, dass sich nun zusehends zu einer Kaffeefahrt mit gemütlichem Camping und Grillabend entwickelt hatte. Letzter Platz im Rennen inklusive, aber das stört außer mir heute offenbar niemanden.


Es ist bereits 06.00 Uhr als ich aufstehe. Ich überlege, ob ich bereits jetzt meine Sachen ins Auto lade, oder das erst nach dem Frühstück erledige. Radfahren ist für mich jedenfalls gedanklich definitiv gestrichen!


08.00 Uhr. Das Frühstück steht bereits auf dem Tisch. Nicole weckt ihren Marco, der wenig begeistert ist, so früh geweckt zu werden. Wir schmieren Brötchen, kochen Kaffee, putzen uns die Zähne. Was man bei einem Campingausflug halt so macht....
Erst nachdem alle satt sind kommt wieder etwas Leben in die Bude. Manon ist es, die plötzlich das Zepter der Motivation in der Hand hält. Sie setzt sich wieder auf´s Bike, fährt eine Runde und bringt auch mich nochmal dazu, die Strecke unter die Stollen zu nehmen.
Ich drücke drei schnelle Runden in den Boden und mir damit den Frust, aber auch alle Reserven aus den Beinen. Irgendwo im Nirgendwo geht zwischendurch meine Trinkflasche flöten. Ich sammel sie ein, aber wie es das Unglück so will, ist sie aufgesprungen und leergelaufen.
Zum Glück läuft mir auf der Strecke der Jan über den Weg. Der hat ´ne halbe Flasche pisswarmes Bier dabei. Besser als nichts, auch wenn es mehr als abartig schmeckt.
Als ich in die vierte Runde einbiegen will, meldet sich der Hinterbau meines Fullys. Die Lager sind schon seit dem Vortag festgefressen. Jetzt lösen sich die Bolzen. Ich muss dringend rein und das Rad insten.

Im Lager angekommen stellen wir dank Dani´s Handy mit Interneterbindung fest, dass wir Boden gutgemacht haben. Zwar befinden wir uns noch imer auf dem letzten Platz, jedoch ist der Abstand zum Team vor uns deutlich geschrumpft. Da geht noch was! Das denkt wohl auch Marco. Denn der ist plötzlich wie ausgewechselt, eilt auf die Strecke und fährt seine Runde in Rekordzeit. Jetzt ist der Junge heiß und will auch noch eine zweite Runde hintendranhängen. Er verliert jedoch wertvolle Zeit indem er in der Wechselzone stehend darauf wartet, dass ihm jemand eine gefüllte Trinkflasche aus dem Lager bringt....
Aber jetzt liegen wir mit dem Team vor uns anhand der Rundenanzahl gleichauf. Lediglich die schlechtere Gesamtzeit drückt uns noch immer den letzten Platz auf.
Und inzwischen ist auch das Konkurenzteam wieder auf der Strecke. Internet ist eben für jeden verfügbar. Die sehen auch, dass ihnen nun die rote Laterne droht und versuchen nochmal gegenzuhalten. Ich stehe derweil, (einen erneuten Zeitverlust durch einen Wechsel im Fahrerlager will ich nicht riskieren) ,ohne Internet und somit ohne aktuellen Stand der Platzierung, in der Wechselzone und warte auf Marco, der grade seine zweite Runde abspult. Wieder ist der Junge sehr, sehr schnell unerwegs. Das kann aber den Zeitverlust durch auf´s Fläschchen warten kaum kompensieren. Und so wird es zum Ende des Rennen nochmal richtig eng. Der Kampf gegen die rote Laterne wird erbittert ausgefochten.

Um 14.00 Uhr ist Rennende. Alle bis dahin gefahrenen Runden werden gewertet. Eine vor 14.00 Uhr begonnene Runde darf noch zu Ende gefahren werden und wird ebenfalls noch gewertet. Bei Rundengleichheit, so das Reglement, siegt das Team mit der geringeren Fahrzeit.
Diese einfache Regel schwirrt mir immerwieder durch den Kopf, während ich auf Marco warte und anfange an zu rechnen, ob ich nur noch eine oder vielleicht sogar zwei Runden schaffen kann.

Marco trift um 13.35 Uhr ein. Mir bleibt keine Möglichkeit meine Runde vor 14.00 Uhr zu beenden und mir somit die Chance auf eine Zweite zu erkämpfen. Bisher hab ich schließlich mindestens 35 min/Runde benötigt. Es bleibt im Kampf um den vorletzten Platz also nur noch die Möglichkeit darauf zu spekulieren, dass das Team vor uns die gleiche Rundenanzahl hat und ich das Blatt wenden kann, indem ich die letzte Runde deutlich schneller fahre als die Konkurenz. Dementsprechend prügel ich mein Rad über die Strecke. Ich fahre am absoluten Anschlag - unmittelbar vor der physischen Kotzgrenze. Mit 32 min fahre ich, ohne zu wissen, dass die Konkurenz inzwischen die Segel gestrichen hat und wir schon 1 Runde Vorsprung haben, meine schnellst Runde des Rennens. Im Ziel werde ich wie alle Finisher mit viel Jubel empfangen. Das auch mein Team an der Ziellinie steht, mir die Platzierung zuruft und mich beklatscht, bekomme ich gar nicht mit. Puls 190, Rasselnde Lunge, brennende Beine, Flimmern vor den Augen , Tunnelblick - innere Leere, Gewissheit alles gegeben zu haben und Hoffnung, dass es gereicht hat.





































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Kommentare

  1. Herrlicher Rennbericht... Das war ja eine Achterbahn der Gefühle! Wieder mal ein Beispiel wie wichtig der Kopf bei Rennen ist.

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