Für Team Harveycom bei Night on Bike 2018


Bis zum bitteren Ende....


Seit Jahren schon bin ich kein Mountainbikerennen mehr gefahren, und irgendwie hat es mich einfach mal wieder gereizt. Vor zwei Wochen durchstöbere ich also den Rennkalender und suche nach einem noch nicht ausgebuchtem Event. In Radevormwald sind bei der Night on Bike noch einige wenige Startplätze frei. Die Startgebühren dort sind mehr als moderat und das Event habe ich aus 2014 in guter Erinnerung.
Allerdings erscheint es mir unmöglich, in so kurzer Zeit ein Team für ein 16 bzw 24 Std Rennen zusammenzustellen. Da kommt der Aufruf vom Team Harveycom auf Facebook gerade recht. Der Truppe sind einige Fahrer krankheitsbedingt ausgefallen und nun wird nach Ersatz gesucht.

Und so finde ich mich am Samstag Mittag im Teamdress an der Startlinie der NOB 2K18 wieder.
Teamchef Sven hat mehrere Mannschaften in verschiedenen Wertungen und unterschiedlichen Leistungsstufen gemeldet. Mich schickt er zusammen mit Damian, Andrea, Arndt und Markus als Sechser-Team auf 24 Std Renndistanz. Und ja - wer nicht nur singen und klatschen in der Schule hatte, wird bemerkt haben, dass uns ein Fahrer fehlt. Aber den kann sich ein Teamchef nunmal nicht aus den Rippen schneiden. Auch dann nicht, wenn man über 20 Fahrer unter den Dächern seiner Teampavillions versammelt hat.

Im Fahrerlager

Wir nehmen dieses Handicap sportlich-locker. Nach kurzen Beschnuppern steht für uns 5 eh fest, dass wir, anders als die anderen Harveycom-Mannschaften, keine Siegambitionen und -chancen  haben. Wir vereinbaren, dass Gesundheit und Spaß an der Sache an erster Stelle stehen sollen und jeder an seine persönliche Leistungsgrenze geht - unabhängig davon, wo diese sich befindet.


Ich habe die zweifelhafte Ehre, die ungeliebte erste Runde zu fahren.
Auf dem Weg zur Startaufstellung

Wenn außen kein Platz, wird innen eine Lücke zugefahren. Der Kopf gibt die Richtung bereits vor.

Um 12 Uhr fällt der Startschuss. Pedale klackern, Schaltungen rasseln, Fahrer keuchen und sprinten.  Weiter hinten, dort wo ich mich aus gutem Grund in die Startaufstellung einreihe, geht es etwas ruhiger aber nicht völlig ohne Ehrgeiz zu. Aus Erfahrung weiß ich, dass so ein Rennen nicht in der ersten Runde entschieden wird - oder eben doch. Schon so mancher übereifrige Biker hat sich oder andere gleich beim Start ins Krankenhaus gefahren. Und selbst hier, zwischen den bierbäuchigen Sonntagsfahrern, kommt es im Eifer des Gefechts zu so manchem Körperkontakt. Ich halte mich aus sowas raus und ziehe außen an der Absperrung vorbei.

"Kleiner Anstieg auf Teer, Rechtskurve mit Holzbrett auf Kantstein. Dann bergab - Fußweg. Hinter der Turnhalle wieder rechts, mit Hügel innen, dann stärker abfallend auf Gras mit Hanglage. Danach Trail."
Was klingt wie die Ansage eines Rally-Beifahrers, sind die Eckdaten der ersten paar hundert Meter, die ich mir stets einpräge, um im dichten Getümmel nicht zu stürzen. Denn von der Strecke sieht man eigentlich erst was, wenn sich das Fahrerfeld später etwas auseinander gezogen hat.

Ich ziehe also scharf an der Absperrung fahrend vorbei und mache, mit hämmerndem Puls, sofort Plätze gut. Ich kenne die Strecke nicht auf voller Länge, will mich aber vor dem Singletrail möglichst weit vorne positionieren, denn zu überholen wird dort dann schwierig.
Der Trail ist schnell und flowig abwärst und trifft in einer stumpfen, matschigen Bodenwelle auf eine 45 Grad Kehre, um sofort in den Gegenanstieg überzugehen. Solche engen Kehren, denen sofortige steile Anstiege folgen, gibt es auf der Strecke zahllose. Der Streckenbauer muss ein Sadist sein. Aber einer mit Sinn für Flow. Denn davon hat die Strecke ebenfalls reichlich.



Es folgt ein steiler Anstieg auf Grasnarbe. Ich hasse Gras! Bremst es doch jegliche Fortbewegungsversuche unerbittlich ab und sorgt so für reichlich Verdruss. Der Puls rast und die Lunge brennt. Ich bin zu hektisch und zu schnell unterwegs. Andere sind aber noch schneller, wie mir "Links-Links"-Rufe verraten. Zwei Fahrer ziehen an mir vorbei. Einer von ihnen ist so dick, dass er sich vermutlich mit einem Schuhlöffel in seine unabstreitbar zu enge Lycrapelle gezwängt haben muss. Das diese rosafarben ist, unterstreicht nur den optischen Anschein, dass dort ein Spanfekel am Spieß auf dem Rad sitzt.

Die nächste Abfahrt wird wieder schnell. Kette rechts und nochmal antreten. Dann stehend über fiese Wurzelfelder. Ich lasse das Bike laufen. Das Spanferkel ist wieder direkt vor mir und holpert unbeholfen über die Wurzeln. Ich ziehe vorbei, erkenne die scharfe Linkskurve zu spät, muss stark abbremsen und verliere Schwung - auch, weil mir keine Zeit zum schalten für den nächsten Anstieg bleibt, zieht Schweinchen Dick wieder an mir vorbei. Auf dem ersten kurzen Flachstück der Strecke lege ich, obwohl ich eigentlich mal den Puls runterkurbeln sollte, die Kette nochmal ganz nach rechts. Da kann Rosa dann nicht mehr mithalten und lässt mich endlich ziehen.

Klack-klack, klack-klack, klack-klack... ich muss einen Stein im Vorderrad haben.
Dann wird das Klacken von einem lauten und unheilverheißendem Fauchen begleitet. Keinen Stein, sondern eine dicke Scherbe habe ich mir eingefahren.

Den defekten Schlauch am Körper, auf Verfolgungsjagd

Mein Reifen haucht ziemlich schnell seine 2,5 Bar Innendruck in die Atmosphäre. Zwei Kilometer nach dem Start - eine Katastrophe! Mein Versuch, damit bis zum Fahrerwechsel durchzufahren, scheitert recht schnell. Der Reifen wird schwammig und verliert jeglichen Seitenhalt.
Ich muss anhalten und den Schlauch wechseln. Das gelingt nur, nachdem einer der nachfolgenen Fahrer Sportsgeist beweist, anhält und mir mit seinen Reifenhebern aushilft! Thank´s a lot!!!!!

Mit der Minipumpe drücke ich, mit schmerzendem Bizeps, ein wenig Luft in den neuen Schlauch - reicht grad so zum fahren. Ich springe auf das Bike, fahre noch einen weiteren Kilometer, um dann hinten einen Schleicher festellen zu müssen. Inzwischen macht sich bei mir Hektik breit. Einen zweiten Schlauch habe ich nicht und so hilft nur nachpumpen, was ich bis zum Ende der Runde dann noch dreimal machen muss. Das gesamte Fahrerfeld, selbst die kleine Pummelige mit dem süßen Gesicht, ist schon lange an mir vorbeigezogen. Sean, die Rakete des Teams Harveycom 6.0, überrundet mich sogar - bitter, echt bitter!

Wechselbereich direkt am Fahrerlager

Ich versuche auf den weiteren 8 der insgesamt 10 Kilometern irgendwie Zeit gutzumachen. In den Abfahrten gehe ich 100 % Risiko und kotze mir uphill beinahe die Seele aus dem Hals. Der Puls ist viel zu hoch und die Atmung extrem flach und schnell. Das Zwerchfell krampft - fühlt sich an wie Seitenstechen - nur viel stärker.
Während ich auf der Strecke gegen den Schweinehund und den durch platte Reifen exorbitant gestiegenen Rollwiderstand gegenantrete, tritt Andrea, die die zweite Runde fahren wird, in der Wechselzone auf der Stelle.  Nervosität macht sich unter meinen Leuten breit. Dann die Sorge, ob ich gestürzt und ernsthaft verletzt sein könnte. Erleichterung, als ich endlich in Sicht komme.


Fiese Rampe - kurz vor dem Fahrerlager
Im weiteren Rennverlauf zeigt sich, dass unsere Mannschaft nicht nur zwischenmenschlich sehr gut homogiert, sondern auch durchaus konkurrenzfähig genüber den anderen Teams ist. Zwischenzeitlich schielen wir sogar auf Platz 3 in der Mixedwertung. Und das trotz Unterbesetzung, was letzlich verkürzte Regenerationsphasen und somit eine Mehrbelastung für jeden Einzelnen darstellt.
Unsere Rundenzeiten sind ziemlich konstant und liegen recht dicht beieinander. Damian entpuppt sich als der leistungsstärkste Fahrer, was sich im späteren Verlauf noch als extrem wertvoll erweisen wird, als er an eine absolvierte Runde sofort eine zweite dranhängen muss. Denn gegen 04:30 Uhr falle ich verletzungsbedingt aus.
Die Schmerzen wurden von Runde zu Runde stärker und sind nun nicht mehr auszuhalten. Jede Bewegung des Oberkörpers wird von fiesen Stichen unter dem rechten Rippenbogen begleiten und auch das Atmen fällt schwer. Ich muss das Rennen abbrechen.

Ich bin geknickt - den Tränen nahe! Bereits 2014 musste ich das Rennen wegen einem nach Sturz gebrochenem Finger vorzeitig beenden. 2018 siegt die Strecke in Radevormwald erneut über Körper und Willen. Auch mache ich mir Vorwürfe, meine Mannschaft im Stich lassen zu müssen.
Doch jetzt zeigt sich die wahre Stärke des MTB-Teams Harveycom! Es sind nicht die guten Rennresultate oder ihre leistungsstarken Fahrer, es ist ihr Zusammenhalt und der Teamgeist!
Von allen Seiten erhalte ich tröstende und aufmunternde Worte. Immer wieder wird nach meinem Befinden gefragt und niemand verliert ein Wort darüber, dass mein Ausscheiden die Mannschaft zusätzlich schwächt. Im Gegenteil: Die vier verbliebenen Fahrer legen noch eine Schippe drauf und stemmen sich entschlossen gegen den drohenden Untergang. Sie erreichen einen guten, und unter den gegebenen Umständen sogar sehr beachtlichen fünften Platz in der Mixedwertung!

                                   


Für dieses unvergessliche und erlebnisreiche Wochenende bin ich dem gesamten Team Harveycom zu Dank verpflichtet. Besonderer Dank gilt meinen Mitfahrern für den tollen Zusammenhalt, dem Ulli, der verletzungsbedingt nicht fahren konnte, uns aber in allen erdenklichen Lagen nach Leibeskräften supportet hat und Teamchef Sven, der mit seiner Orgacrew vor, während und nach dem Rennen nicht nur für Essen, Getränke und gute Laune sorgte, sondern auch die vielen tausend Dinge erledigte, die im Hintergrund geschehen!







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