Ein alter Bekannter




Nachdem es in den letzten Tagen sprichwörtlich Hund und Katz regnete und es in der letzten Nacht sogar diverse Glätteunfälle wegen Schneefällen gab, hatte ich kaum darauf zu hoffen gewagt, heut bei gutem Wetter fahren zu können. Aber das Wasser kommt heut zum größten Teil von unten und zeitweise werde ich gar geneigt sein, mich meiner Softshell-Jacke zu entledigen. Zu warm ist teils die Frühlingssonne.

Ich verlasse meinen Heimatort, zunächst auf Asphalt, auf direktem Weg Richung Hammoor. Dort biege ich in den Beimoorwald ein um endlich unbefestigten Untergrund unter die Stollen nehmen und die ersten Trails surfen zu können.



Besonders der östliche Teil, zwischen altem Beimoorweg und der Autobahnraststätte Buddikate wartet mit malerischen Trails auf uns Drahtesel-Pioniere. Wie ein Hase auf der Flucht, windet sich der Weg immer wieder, in teils engen Kurven, zwischen Büschen und Sträuchern um die vom Wind arg zerzausten Bäume.



Auf dem teils asphaltierten Beimoorweg, auf den der Trail mich alsbald ausspuckt, kann ich ein wenig am runden Tritt feilen. Ein gutes Training für das im Mai anstehende 24 h Rennen am Alfsee.
Am stillgelegten Gleis der U1 fahre ich auf einen anderen, deutlich langsameren Mountainbiker auf. An der steilen Rampe zum Gleisbett lässt er mir den Vortritt, hat dann aber doch keine Mühe mir zu folgen.
Ich warte oben auf ihn. Auch wenn er offenbar nicht ganz mein Tempo fährt, möchte ich ihn in ein Gespräch verwickeln und vielleicht ein paar Meter mit ihm zusammen absolvieren. Es kommt selten vor in unseren Breitengraden, das man andere MTB`ler trifft. Da ist jede Begegnung, jedes Gespräch, gern genommene Abwechslung.

Der Typ, dessen Helm seltsam schräg auf seiner Rübe sitzt, und dessen Kaufentscheidung offenbar eher finanzieller Interessen, als denn der Passgenauigkeit geschuldet zu sein scheint, ist mir auf Schlag sympatisch. Wir stellen fest, dass wir bis Ahrensburg in etwa den selben Weg fahren wollen und bleiben, ohne das es jemand aussprechen muss, für diese Strecke gerne ein Gespann.

Wir fahren nicht sonderlich schnell. 22-25 Km/h auf Asphalt und Schotter - teils langsamer. Auch wegen der vielen Fußgänger. Hauptsächlich aber, weil wir ununterbrochen quatschen. Ich erfahre, dass er aus Ahrensburg kommt, dass sein Trainingspartner Volker ihn heut hat sitzen lassen, weil sonst fahren sie ja immer zusammen. Im Sommer Rennrad, im Winter MTB. Aber keine Rennen. Dafür fühlen sie sich zu alt. Er geht schließlich schon an die 50 und das Kreuzband ist futsch - da macht das Knie Probleme.
Wir reden, während wir uns Großhansdorf nähern, wirklich über Gott und die Welt. Nur wie wir heißen, das erzählen wir uns aus unerfindlichen Gründen nicht. Aber das ist nicht so wild. Ich finde ja, er sieht aus wie ein Olaf, weswegen ich ihn in Gedanken so taufe und während des Dialogs auch beinahe so anspreche.

Olaf hat nun, ohne das dies irgendwie einer Absprache bedurfte, die Führung übernommen. Der Psychologe nennt sowas den Gruppendynamischen-Prozess bzw. ist das kristallisieren eines informellen Führers ein Teil dessen. Ich muss ein wenig schmunzeln, als ich dies feststelle. Es ist über 15 Jahre her, dass ich bei der Bundeswehr in Menschenführung und Psychologie ausgebildet wurde - aber manche Dinge vergisst man offenbar nie. Und der Olaf scheint gar nicht bewusst zu handeln. Der fährt einfach seine geplante Tour - ob ich nun mitkomme oder nicht. Vermutlich würde er mein Fehlen gar nicht bemerken und weiter munter draufloserzählen.
Ich folge bereitwillig. Nicht nur, dass er mir, obwohl wir uns hier in meinem Heimatrevier befinden, ein paar neue Wege zeigt, vielmehr ist es die Tatsache, dass er wirklich jeden Anstieg mitnimmt. Ich stelle mit Erschrecken fest, dass ich allein unterwegs, so manchen umfahren hätte.
Olaf hingegen macht es Freude. "Typischer Rennradfahrer", denke ich mir. Da zählt eher der Kampf denn der Genuss. Sein gesamter Fahrstil entlarvt ihn. Er fährt ein sehr konstantes Tempo, was klar für Training auf gleichmäßigem Untergrund spricht. Auch fährt er weniger dynamisch als reine MTB´ler. Er sitzt viel im Sattel und arbeitet wenig elastisch mit den Knien. Er hat beneidenswerte Kraft im Anstieg, was den Viel- und Langstreckenfahrer enpuppt, scheitert aber an kleinsten technischen Hürden.
Für mich ist es sehr anstrengend ihm zu folgen. Die Anstiege kosten Kraft die ich nicht habe und bergab werde ich durch ihn gebremst und kann nicht laufen lassen. Auch der tiefe Boden fordert ebenso seinen Tribut, wie das ausgelassene Frühstück. Sei es drum - ich kann solch schmerzhaften Trainingsintervalle durchaus brauchen.

Wir schlängeln uns durch die Trails Richtung Ahrensburg-Mannhagen. Die Straße "Vierbergen" kannte ich bisher nicht. Sie besteht aus Teer, steigt aber stetig und lang bergan und da wir sie zudem im Wiegetritt auf dem großen Blatt nehmen, setzt auch sie einen weiteren, gern genommenen Trainingsreiz. Auch die Siedlung Hagen lässt sich zu meinem Erstaunen sehr gut auf Schotter durchqueren, wenn man die richtigen Wege kennt.

Wir durchqueren das Moor östlich der B75 über die neu angelegte, und dringend überfällige Schwimmbrücke. Über den Abriss des alten Holzstegs (siehe Bild) und den Neubau der Brücke hatte die lokale Presse mehrfach berichtet. So war es fast zu erwarten, dass sie bei diesem schönen Wetter Ziel zahlreicher Spaziergänger werden würde. Wir haben alle Mühe uns im Slalom langsam durch die Menschenmassen zu bewegen. So bleibt leider keine Möglichkeit die neue Brücke zu fotografieren.
Archivaufnahme: Alter Holzsteg im Moor bei Ahrensburg


An der B75 trennt sich Olaf dann mit einem knappen "schönen Sonntag noch" von mir. Für ihn stehen familiäre Verpflichtungen auf der Tagesordnung. Insbesondere das gemeinsame Mittagessen. Seine Frau hatte ihn gemahnt, auf jeden Fall pünktlich zu sein. Ich muss unwillkürlich schmunzeln.
Informeller Führer..gruppendynamischer Prozess und so weiter! Beim Olaf scheinen die Rollen klar verteilt zu sein - auch die des Familenoberhauptes. Tauschen möcht ich mit ihm nicht.

Ich überquere die B75. Nicht, ohne dem McDonalds einen sehnsüchtigen Blick zugeworfen zu haben.
"So ein klitzekleiner Bic Mac..oder wenigstens ein Cheeseburger - das wär doch was Feines". Doch wenn ich mir jetzt Fastfood in den Bauch schlage, wird es mir später wieder im Magen liegen. Und so schlage ich mir diese Gedanken aus dem Kopf und setze meinen Weg, vorbei am Friedhof, in Richtung Bredenbeker Teich fort.

Endlich kann ich wieder mein Tempo fahren. Es wird flacher, der Tritt ist wieder runder und der inzwischen, auch wegen der vielen Anstiege, auf unter 19 Km/h gefallene Durchschnitt steigt langsam wieder.
Frisch wird es. Wolken ziehen auf und die Luft schmeckt nach Regen. Ich beschließe allmälich den Heimweg anzutreten. Zumal auch die Beine ernsthafte Ermüdungserscheinungen vermelden.
Den Teich umrunde ich daher heute nicht, sondern lasse ihn westlich von mir und damit auch den Bocksberg aus, und fahre vorbei an der Golfanlage, auf der grauhaarige Goldkettenträger in karrierten Hosen und albernen Pullundern einem Hobby nachgehen, das sie allen Ernstes Sport nennen. Lustig sehen sie aus, wie sie da stehen; den Golfschläger in der Hand, die ständig rutschende Goldbrille wieder auf die Nase schiebend, einen Ball anvisierend, den sie kaum erkennen können, während der Caddy ihnen den Schirm hält.

Schirm? Ach du Schreck! "Wo Schirme sind, ist auch..." Klock..... klockklock.... klockklockklock.. prasselt es mir auf den Helm. Es sticht im Gesicht und brennt auf den Händen.  Es regnet nicht, es hagelt. Und zwar urplötzlich und wie aus Eimern. Und die Hagelkörner fallen nicht einfach vom Himmel...sie pfeifen regelrecht herab. Tausende eiskalte Hornissen scheinen sich auf meinem Körper auszutoben. Ich finde grad keinen Unterschlupf und muss auf die Zähne beißen. Ich lege die Kette nach rechts und lasse den Schühberg links liegen, um die Bushaltestelle an der L225 zu erreichen.

Dort angekommen ist der ganze Zauber schon wieder vorbei. Zwar kommt die Sonne nicht wieder zum Vorschein, aber immerhin gibt es nun keinen Niederschlag mehr. Und so kann ich meinen Weg durch den Duvenstedter Brook, ohne pausieren zu müssen, fortsetzen.


Matsch - nicht nur im Brook hatte der Regen den Boden schwer werden lassen

Die Wege sind weich. Teils von Rückearbeiten zusätzlich aufgewühlt - das kostet Körner!
Bei Kilometer 44 treffe ich dann einen alten Bekannten. Es ist der Mann mit dem Hammer. Den treffe ich öfter mal. Wir Radsportler kennen ihn alle. Ein erbarmungsloser Schuft, der immer dann zuschlägt, wenn man es am wenigsten brauchen kann. Zugegeben, er ist nicht unfair. Er kündigt sich an. Hungergefühl, Leistungsverlust, ein Flackern vor den Augen oder Kopfschmerzen eilen ihm meist voraus. Blöd nur, dass dies stets dann auftritt, wenn man grad am Arsch der Welt unterwegs ist und unser netter Freund seinen Vorboten in aller Regel direkt auf dem Fuße folgt.

Kaum Strecke, aber Beine aus Beton

Es hilft nix - ich bin platt. Das wars für heute. Ab hier geht es nicht mehr um Tempo, nicht mehr um Gesamtkilometer oder um sonst irgendwas. Die Trainingseinheit ist genau hier und jetzt beendet. Jetzt geht es ums nach Hause kommen. Nach Möglichkeit ohne Kreislaufprobleme zu bekommen.

Ich befinde mich irgendwo vor Klein Hansdorf. Ab dort kann ich mich über Wirtschaftswege auf Asphalt durchschlagen. Doch bis dorthin ist es noch ein Stück. Mühsam drehe ich die Kurbel rum. Umdrehung für Umdrehung. Meter für Meter komme ich dem Ziel näher.
Schmatzend sinken die Reifen im weichen Modder ein. Zäh läuft es - unglaublich zäh. Ein Cyclocrosser kommt mir entgegen. Ich kann zum Gruß gard noch schwach nicken. Zu sehr bin ich jetzt mit mir selbst beschäftigt. Verdammter Hungerast, hätte ich bloß das Frühstück nicht ausfallen lassen.

Ab Klein Hansdorf geht es dann wieder besser voran. Auf dem Teer rollen die Reifen deutlich leichter. Aber mit jedem Kilometer spüre ich auch die bisher absolvierte Einheit. Leer sind die Beine. Schmerzen tun sie. Und nur wiederwillig wollen sie meinen Befehlen gehorchen. Ich fahre dennoch nicht die kürzeste Strecke. Das verbietet mir der Stolz. Direkt entlang der Bundesstraße - das ginge mal gar nicht. Ich bin schließlich kein Rennradfahrer.
Ich schlängel mich über Nebenstrecke bis nach Bargteheide und kehre in einer Tankstelle ein. Wobei meine Einkehr eher einem Überfall gleicht. Der Kassierer erkennt meine Situation mit überraschend geschultem Auge. "Na, erstmal bisschen Zucker für die Beine?", lächelt er mich an. Ich muss erschreckend aussehen, wenn mein Zustand so leicht für jemanden zu erkennen ist, dessen Figur mir verrät, dass er Sport höchstens aus der Sportschau kennt.
"Ja, Hungerast", entgegne ich knapp, außerstande zu weiteren Worten und schiebe den zu meiner Rettung auserkorenen Schokoriegel auf den Verkaufstresen.
Sein verständnislos fragender Blick bestätigt meine Vermutung, dass Sport für ihn eher passives Erlebnis ist. Wenn der Kerl wüsste, wie geil in solchen Momenten Süßigkeiten sein können, er würde vermutlich noch mehr davon verdrücken, als er ohnehin schon in sich reinzustopfen scheint. 

Ein wohliges Gefühl der Sätte und Zufriedenheit setzt ein, als der Magen endlich ein wenig Zündstoff bekommt. Was so ein bißchen Zucker doch bewirken kann...
Vorsichtshalber schiebe ich sofort noch ein paar Weingummis hinterher, die ebenfalls den Weg aus dem Verkaufsregal in meine Trikottasche gefunden haben.
Es ist schon erstaunlich, wie schnell der Zucker wirkt. Plötzlich funktionieren auch die Beine wieder. Zugegeben, ich beweg mich weiter auf Wirtschaftswegen. Zugegeben, taufrisch sind die Beine nicht. Aber das Rad rollt wieder, die Beine reagieren auf die Impulse vom Hirn und die Kette liegt wieder auf dem großen Blatt. So gelingen mir auch die letzten der insgesamt 64 Km, die ich heute in mein Trainingstagebuch eintragen darf.

Fazit des Tages: Dialoge lassen dich neue Menschen kennenlernen und Anfängerfehler werden umgehend mit Hungerast bestraft.

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