Die 8 Std von Aabenraa

Die Dänen sind alles luschige Hotdog- oder Softeisverkäufer, ihr Land flach wie eine Scheibe und das 8 Std Rennen in Aabenraa somit ein Kinderspiel..kaum gestartet, darf ich bereits die Siegertrophäe entgegennehmen.

Es ist 04:30 Uhr am Samstagmorgen, als mich der Wecker aus diesem angenehmen Traum reißt und mich in der Realität ausspuckt. Radsportkollege Relef hatte mich bereits am Freitag per Messenger vorgewarnt. In den vergangenen Jahren hat er topfitte und eisenharte Mountainbiker auf einer nicht anspruchslosen Strecke erlebt und verpasst somit meiner Hoffnung auf eine halbwegs vorzeigbare Platzierung eine mächtige Delle.

Die Klamotten sind rasch gepackt und so sitze ich planmäßig um halb Sechs im Auto. Die 190 Km Anfahrt nach Dänemark sind schnell absolviert. Die Autobahn ist trotz Feiertag und langem Wochenende erstaunlich frei. Da bleibt mir unterwegs sogar noch Zeit, um das versäumte Frühstück nachzuholen. In Flensburg fahre ich daher von der A 7 ab und suche mir einen Bäcker.
Den Grenzübergang Ellund wollte ich ohnehin meiden. Denn dem Schengener-Abkommen trotzend, führen die Dänen seit geraumer Zeit wieder Grenzkontrollen durch. Angesichts steigender Kriminalität in Europa ist das grundsätzlich eine gute Sache - doof allerdings für jemanden, dessen Personalausweis seit 2017 abgelaufen ist.
  
Vom kleinen Grenzübergang bei Aventoft weiß ich, dass hier die Grenzkontrollen nicht durchgeführt werden. Selbiges erhoffe ich mir nun also auch beim Grenzübertritt in Krusa. Wo Flensburg quasi nahtlos in die dänische Nachbarstadt übergeht, wird man doch sicher nicht auf Zollbeamte treffen?
Weit gefehlt. Neben Zoll und Polizei hat der dänische Staat sogar bewaffnete Soldaten an der Grenze postiert. Es scheint also nichts zu werden mit dem problemlosen Grenzübertritt und ich ringe gedanklich bereits nach einer halbwegs plausibel klingenden Ausrede, um nicht abgewiesen oder gar verhaftet zu werden. Die dänische Justiz ist durchaus für ihr striktes und hartes Durchgreifen bekannt, was wohl auch einer der Gründe für die geringe Kriminalitätsrate in unserem Nachbarland ist.

Doch ich habe Glück. Der junge Zollbeamte signalisiert mir bereits auf Entfernung per Handzeichen, dass in Dänemark Tagfahrlicht-Pflicht herrscht, und als ich das Licht einschalte, das Fenster herunter lasse und nach meinem Ausweis krame, gibt er den nahestehenden Soldaten mit einem Nicken zu verstehen, dass sie den Weg freigeben können und mir ein Handzeichen, weiterzufahren.

Der erste Schreck des Tages ist kaum verdaut, da folgt der nächste. Von Krusa nach Aabenraa ist der Straßenverlauf ausgeschildert. Um aber den genauen Veranstaltungsort zu finden, brauche ich dann doch Hilfe per Navigation. Google Maps soll es richten. Dumm nur, dass ich feststellen muss, dass mein grad kürzlich abgeschlossener Handyvertrag noch nicht für das EU-Ausland freigeschaltet ist.
Ohne Internet, ohne Navigationsgerät und auch ohne klassische Faltkarte, steh ich nun ziemlich doof da. Der Veranstalter hatte einen Kartenausschnitt auf seiner Internetseite gepostet. Irgendwo westlich von Aabenraa, zwischen der Stadt und der A7, das habe ich mir merken können, muss der Austragungsort des Rennens sein. Nur finden kann ich ihn nicht. Beinahe 2 Std fahre ich kreuz und quer alle Ausfallstraßen aus Aabenraa ab, immer Ausschau haltend nach Ausschilderung oder anderen Teilnehmern des Rennens. Die Zeit rennt mir davon. Bis 9 Uhr soll ich meine Startunterlagen abgeholt haben. Doch auch mehrfaches Fragen der durchaus sehr hilfsbereiten Bevölkerung bringt mich nicht weiter. Niemand weiß etwas von einem MTB Rennen. Erst als ich ein Auto mit am Heckträger montiertem Mountainbike sehe, keimt wieder Hoffnung auf. Und tatsächlich haben wir dasselbe Ziel.
  

Eile ist geboten. In 30 Min startet das Rennen und ich habe noch nichteinmal die Startnummer abgeholt. Hastig zwänge ich mich in die Radklamotten, zerre das Rad vom Autodach, fülle die Trinkflaschen, klicke ein und fahre zum Veranstalterzelt. Relef und seine Lebensgefährtin Ulrike hastig begrüßt, bastel ich mir die Startnummer an den Lenker und stelle mich mit in die Startaufstellung.

Zeit, um meine Getränke und Verpflegung aus dem Auto zu holen und in das für uns Solofahrer reservierte Zelt zu bringen, bleibt nicht mehr. Noch weniger für eine Proberunde, denn mit dem Klassiker "Highway to Hell" wird bereits der Countdown zum Start eingeleitet.


Die erste Runde ist verkürzt und der Pulk wird von einem Führungs-E Bike angeführt, das das Rennen mit fliegendem Start nach einigen hundert Metern freigibt. Die Dänen ballern los, als gäb es kein morgen mehr. Für viele ist die Strecke Heimatrevier und Trainingsgebiet. Ich hingegen kenne keinen einzigen Meter und bin von der Streckenführung überrascht. Der Kurs ist extrem eng und verwinkelt. Völlig untypisch für ein Ausdauerrennen. Das gleicht eher einem Cross-Country Kurs. Viele enge Kehren, viele Stufen
und Sprünge. Künstliche Hindernisse, Anliegerkurven und ein Rockgarden runden die bikeparkähnliche Strecke ab. Es geht abwechselnd bergan oder bergab. Flachstücke gibt es nahezu kaum. Die Steigungen sind kurz aber knackig und oft mit Wurzeln oder Stufen gespickt. Permanente Tempo- und Richtungswechsel fordern die Kondition, die kurzen und technischen Abfahrten volle Konzentration. Das kann hier noch lustig werden...







Runde 2.
Die Oberschenkel brennen wir Feuer, die Beine zittern. Ein Großteil der Strecke ist wegen der verkürzten ersten Runde wieder Neuland und technisch wie konditionell nicht weniger fordernd.
Ich hab zuvor zu wenig getrunken. Das passiert mir häufiger. Die Folge: Wadenkrämpfe stellen sich ein. Die Rundenzeit ist aber recht passabel. Ich schwimme mit...


Runde 3.
"Andere Streckenführung? Hier bin ich doch eben nicht vorbeigekommen."
Es dauert eine Weile, bis ich verstanden habe, dass Teile der Strecke gesplitet sind. Einige technische Passagen sind auf der anspruchsvolleren aber schnelleren roten Spur zu befahren oder alternativ über den längeren blauen Chicken-Way. Aber selbst die blaue Route ist oft nicht ohne. Und so mancher Fahrer erlebt die Folgen von Selbstüberschätzung hautnah. In der Wechselzone sehe ich bereits jetzt schon einige bandagierte Gestalten. Verbundende Schienbeine, Kniescheiben und Ellenbogen...einen Jugendlichen mit in einer Schlinge gelagertem Unterarmbruch-hier geht es echt zur Sache.

Runde 4.
Hab mir zunächst ein paar Minuten Regeneration in der Wechselzone gegönnt, dabei die Flaschen aufgefüllt und an der Verpflegungsstelle die Wahl zwischen Apfel-oder Bananenstück zu Gunsten der Staudenfrucht getroffen.
Bis jetzt 34 Km und satte 800 Höhenmeter absolviert...
"Was sagt die Zeit? Oh Gott, schon 3 Std rum, und erst 4 Runden gefahren."
"Oh shit! noch mehr als 5 Stunden zu absolvieren und ich bin schon jetzt ziemlich platt."
Nehme mir vor, das Tempo zu drosseln. Ich will finishen, nicht siegen...und schon gar nicht mit ner Unterarmschlinge nach Hause fahren müssen.



Angeschlagen wie ein Tyson-Gegener. Die Strecke fordert ihren Tribut


Runde 5.
Jetzt längere Pause. Ich bediene mich am Buffet...seltsame Zusammenstellung aber lecker! Es gibt Salat, dazu kalte Nudeln ohne Soße und eine Art porket Turkey. Braucht ne Weile, bis ich bei den Dänen abgeguckt habe, dass man daraus eine Art bunten Salat macht, dessen Zusammenstellung auf diese Weise selbstüberlassen bleibt.
Fällt mir schwer die Konzentration aufrecht zu halten. Weiß zeitweise die Rundenazahl nicht mehr...gucke nur noch nach der Uhr. Zeit ist hier die Währung in der gerechnet wird. Schon soundso viele Stunden absolviert...noch soundso viele liegen vor einem.
Kraft lässt rapide nach. Erste Anstiege gehen nur noch schiebend. Ist kraftsparender und geht sogar schneller. Rücken macht Probleme. Die Bandscheibe zwickt ja immer - aber jetzt ist mir irgendwo ein Wirbel rausgesprungen...stechender Schmerz
Der Führende ist grad an mir vorbei. Hat bereits 6 Runden Vorsprung...der Typ ist ne Maschine!
Ich liege eine Runde vor Relef. Ich habe ihn nicht überholt. Er muss ebenfalls Pause gemacht haben. Wundere mich...Relef fährt 24 h Rennen Solo, warum macht der hier Pause? Nehme mir vor ihn zu fragen und vergesse es.
Regen setzt ein...die Strecke wird stellenweise unberechenbar. Besonders die Wurzeln und Holzelemente werden tricky. Aber auch der lose Schotter, irgendein Basaltgestein, vorher schon ein Garant für ein ausbrechendes Vorderrad, wird jetzt wie Schmierseife.


Runde 6.
Wieder vorher pausiert. Nix geht mehr. Kraft weg und der Rücken ist froh, mal ein paar Minuten einen Stuhl unter dem Hintern zu haben.
Die Regeneration tut gut. Sieht Relef auch so, erzählt mir, dass er nach jeder Runde pausiert..ach so, daher mein Vorsprung!!! Als er von dem erfährt, bricht er sofort auf.
Ich starte weit nach ihm, fange ihn aber wieder ab. So nicht mein Freund!!! Soviel Ehrgeiz ist dann in jedem Fall noch vorhanden.
Ein an meinem Hinterrad lutschender Däne fragt mich nach meiner Rundenzahl. Erst auf dänisch, dann auf englisch. "Six Laps" antworte ich. "Whats your goal for this race?", möchte er wissen. "Survive...just still survive"!
Er findet 6 Runden total crazy. Er selbst sei in der dritten Runde, völlig am Ende und hätte ja immerhin noch 2 Teampartner dabei, mit denen er sich jede Runde abwechselt. Als ich ihm erzähle, dass der Leader der Solofahrer bereits in Runde 12 ist, hab ich ihn offenbar völlig demoralisiert - er lässt sich zurückfallen.

Runde 7
Der Regen nimmt zu. Strecke ist technisch für mich kaum noch zu meistern.
Kurz/kurz zu fahren ist jetzt Mist. Eiskalte Finger...die Bremse so kaum noch dosierbar.
Fieser Sturz in technischer Abfahrt. Vorne zu stark angebremst, seegle ich über den Lenker und überschlag mich mehrfach hangabwärts. Der Fotograf ist vor Ort, erspart mir aber die Blamage, davon Bilder zu machen.
Das Rad ist heile, die Knochen auch. Ein paar Prellungen und kleinere Schürfwunden-nicht dramatisch. Das hätte an dieser Stelle auch anders ausgehen können - ganz anders!!!


Inzwischen schifft es wie aus Eimern und ist saukalt. Die Strecke fordert immer weitere Sturzopfer. Ein ganz normaler Tag bei diesem Rennen, verrät mir einer der Sanitäter.
Nach meinem Sturz haben Mut und Motivation arg gelitten. Ein Blick auf die vorläufige Ergebnisliste zeigt mir, dass ich auf Platz 24 liege. Relef mit einer Runde Rückstand auf 27.
Platz 25 und 26 könnten mich also noch verdrängen. Derzeit pausieren beide, werden aber vermutlich bald in die nächste Runde starten und dann an mir vorbeiziehen.
Ich wäge ab. 60 Km und 1400 Höhenmeter sind absolviert.
Das interne Duell zwischen Relef und mir habe ich zu meinen Gunsten entschieden. Der kann mich in der verbleibenden Restfahrzeit nicht mehr überholen, sondern maximal gleichziehen, bliebe aber in der Ergebnisliste aufgrund der Rundenzeiten hinter mir.
Ich habe in der letzten Runde unwahrscheinliches Glück gehabt und beschließe, es nicht überstrapazieren zu wollen. Platz 24 oder 26...so what? Für die goldene Annanas brauch ich mir hier nicht die Knochen brechen. Da bedien ich mich doch lieber nochmals am Buffet....

Fazit: Gemessen an der Ergebnisliste, sollte ich eigentlich unzufrieden sein. Gemessen an der persönlichen Leistung bin ich es aber keinsfalls. Die Strecke war mehr als anspruchsvoll.
Und wenn du dich mit Mountainbikern, die Unternehmen wie Volvo, MAN oder Pronghorn-Bikes als Sponsor auf ihren Trikots plazieren können, duellierst, wenn du z.B. mit einer Nele Dönneweg (boah, ist die sexy), die bei der 24 Std WM in Schottland auf Platz 8 fährt, und dich mit einem Karl-Erik Rosendahl (der ist nicht so sexy, fährt aber in der dänischen Junior-Liga oben mit) an die Startlinie stellst, kannst du in so einem Rennen nur gewinnen.

Glücklich, zufrieden und im nächsten Jahr wieder dabei...!





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