Overnighter Boltenhagen

Quälend langsam wird die Kurbel umgelegt. Jeder Tritt in die Pedale tut weh. Die Oberschenkel weigern sich zusehends ihren Dienst zu verrichten. Hatte Torsten die 95 Km Anfahrt nach Boltenhagen noch recht souverän gemeistert, leidet er nun erheblich.

Es war eine verrückte, fast wahnwitzige Idee, am Abend aufzubrechen und in den blauen Dunst zu fahren. Ausgerüstet nur mit Schlafsack und Isomatte, wollten wir zu 100 Prozent improvisieren, alles dem Zufall überlassen und einfach sehen was sich ergeben würde.

Wir starten um 18 Uhr und erreichen das Ostseebad Boltenhagen gegen Mitternacht. Die Strecke ist ein abwechslungsreicher Mix aus Asphalt, Waldautobahn und Trail. Bis Lübeck kommen wir noch recht gut voran und ein Asia-Food Schnellrestaurant sorgt dort für den nötigen Energienachschub.

Während wir essen, bricht die Dunkelheit in überraschend kurzer Zeit herein. Die Räder werden mit Lampen bestückt, doch deren Lichtkegel kann die Trails, auf denen wir uns hinter Lübeck bewegen, nur schwach ausleuchten. Ein Jammer, diese Strecke nicht bei Tageslicht gefahren zu sein. Die landschaftliche Schönheit lässt sich aber zumindest erahnen.
Der Ortschaft Klütz, mit seinem Schloss Bothmer, vor den Toren Boltenhagens gelegen, werde defintiv nochmal einen Besuch abstatten.

Den zur Übernachtung auserkorenen Shelter finden wir leider völlig zertrümmert vor. Die Alternative, im Schlafsack am Strand zu übernachten, ist angesichts der Temperaturen und einsetzendem Nieselregen gar keine.
Randonneure, so wissen wir, übernachten gerne in den Vorräumen von Banken und Sparkassen. Übernachtung im EC-Hotel nennen sie es, weil sich die Türen dieser kostenlosen Schlafmöglichkeit mittels der Plastikkarte auch mitten in der Nacht noch öffnen lassen. Uns aber schreckt die Idee ab, in einem hell erleuchteten Raum mit Kameraüberwachung und zu erwartendem Puplikumsverkehr unsere Schlafsäcke auszurollen.
Das Vordach von Boltenhagens Sportlerheim bietet uns hingegen zu wenig Windschutz, und der Eingangsbereich der Schule ist bereits von Obdachlosen, die wir in einem Ferienort nun so gar nicht erwartet hätten, belegt.

Trocken, windgeschütz und warm ist die Tiefgarage im Ortskern. Komfortabel ist natürlich etwas anders. Doch noch länger suchen mögen wir angesichts unserer Erschöpfung nicht. Und so rollen wir die Schlafsäcke aus und legen uns auf´s Ohr. Es ist aber eher ein Ruhen, als denn ein Schlaf. Während mir bald der Nacken wegen dem fehlenden Kopfkissen schmerzt, findet auch Torsten kaum zur Ruhe. Denn wann immer ich wegnicke, beginne ich zu schnarchen. Der Schall wird von den Betonwänden zurückgeworfen. Der Halleffekt ist so laut, dass auch ich selbst zweimal davon aufwache.
Die zu kurze Nachtruhe findet ein jehes Ende, als um sechs Uhr das erste Auto in die Tiefgarage einfährt. Wir packen unsere sieben Sachen zusammen, bummeln etwas durch den Ort und lassen uns an der Promenade ein reichhaltiges Frühstück schmecken.

Unser Rückweg soll uns über den Priwall und Travemünde, an Lübeck und Reinfeld vorbei, nach Hause führen. Bevor wir aufbrechen, lässt Torsten es sich jedoch nicht nehmen, in die eiskalte Ostee zu springen.

            





                                                


Die geplante Route wird jedoch kurzerhand abgeändert. Die ersten 10 Kilometer, die wir dem ewigen Auf und Ab der Steilküste folgend, schutzlos dem starken Gegenwind ausgeliefert sind, zeigen deutlich, dass Torstens körperliche Verfassung heute keinen anspruchsvollen Untergrund zulassen wird.
Immer langsamer kommen wir voran. Obwohl wir inzwischen ausschließlich Straßen nutzen, sinkt das Tempo kontinuierlich mit jedem Kilometer Wegstrecke. Doch aufgeben ist für Torsten keine Option. Tapfer kämpft er jeden Meter und kann anschließend darauf zurückblicken, gleich bei seiner ersten Mehrtagestour 180 Km innerhalb von weniger als 24 Stunden absolviert zu haben.









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